Simplicissimus (Teil 2) – Innere Sicherheit

Hier liegt das Problem: Wenn man sich die heutige Konnotation des Begriffes „Eigenverantwortung“ ansieht, muss man bemerken, dass dieser Terminus öffentlich ausschließlich als finanzieller auftaucht. Auch fällt einem die seltsame Trennung von Verantwortung und Freiheit auf, die man dabei heute voraussetzt. Man ist verantwortlich, für Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Dabei werden Freiheiten unterstellt, die man gar nicht besitzt, aber das ist nur ein Nebenschauplatz.
Freiheit wird mit Sicherheit kontrastiert, letztere ist zum Leitmotiv in Wirtschaft, Gesellschaft – ja überall geworden. Freiheiten und Selbstbestimmung sind heute nicht nur nicht erreicht, ihnen wird ausgewichen, wo es nur geht. Als symptomatisch kann die Debatte um die innere Sicherheit gelten. Dort wurden massive Restriktionen gegen alle Bürger hingenommen, ohne dass diese durch akute Bedrohungen oder wenigstens präventive Erfolge gerechtfertigt worden wären. Zur Erinnerung: Rasterfahndung, Telefondatenspeicherung, Lauschangriff, verstärkte Videoüberwachung, PC Durchsuchungen, Geruchsproben, finaler Rettungsschuss — der einzige groß angelegte Anschlag in Deutschland wurde letztlich durch die Unfähigkeit der Bombenbauer verhindert. Immer wieder lässt sich feststellen, dass Terroranschläge, wenn überhaupt, nur durch den Zufall oder klassische Wege, wie etwa aufmerksame Passanten vereitelt werden können.
Dennoch ernten auch die extremsten Vorschläge Lob. Wolfgang Schäuble etwa stellt Überlegungen über den weitmöglichst hergeholten Fall auf, dass deutsche Truppen in Afghanistan Osama Bin Laden aufspüren würden und als einzige die Möglichkeit und nur diese Möglichkeit hätten, ihn per Marschflugkörper zu töten. Für diesen Fall sei unsere Demokratie nicht wehrhaft genug, deshalb müsse das Grundgesetz überprüft, bzw. die präventive Tötung von ‚Gefährdern’ gesetzlich verankert werden. Nun muss man gar nicht darüber nachdenken wie unwahrscheinlich es ist, dass deutsche Sanitärsoldaten zufällig einen Zettel mit der Adresse Osamas Verstecks finden, um eine derartige Initiative auch nur aufgrund der anfallenden bürokratischen Kosten für Wahnsinn zu halten. Und dennoch, es wird in diese Richtung weitergedacht, weitergemacht.
Es ist schon erstaunlich, wie begehrt vermeintliche innere Sicherheit doch ist, was man bereit ist für sie zu geben oder sich antun zu lassen, wo doch der Innenminister selbst so klug ist, keine Garantien geben zu wollen. Risiken sollen nunmal minimiert werden, vor allem dort, wo sie für einen selbst nicht greifbar sind. Auch die neuere Nulltoleranz beim Nichtraucherschutz erscheint mir stellvertretend für die Sorge vor unsichtbaren Gefahren, deren Auswirkungen letztlich wesentlich geringer sind, als Aufhebens um sie gemacht wird. Der gesunde Mensch fürchtet sich heute mehr vor einem qualmenden Aschenbecher unter freiem Himmel, als vor Haushalts- oder Verkehrsunfällen.
In einer nahezu sicheren Gesellschaft verwundert es, wie viel Angst vorherrscht und eben auch, wovor die Leute Angst haben. Deshalb wirken noch so restriktive Maßnahmen populär, sie halten die zerbrechliche Illusion von Sicherheit aufrecht. Und nur dieses Sicherheitsversprechen kann den arbeitenden, sparenden, raffenden Bürger seines gerechten Lohnes versichern. Im Angesicht dessen, was er zu verlieren hat, erscheint ihm Freiheit weniger als Perspektive sondern vielmehr als Bedrohung.

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