Wenn Sie jemanden mit einem blutigen Messer in der Hand über einer blutüberströmten Leiche finden, haben Sie einen mutmaßlichen Mörder vor sich. Er ist nur mutmaßlich Mörder, weil Sie (noch) nicht beweisen können, ob er tatsächlich gemordet hat. Es deuten schließlich nur Indizien darauf hin. Hier bedarf es zur juristischen Urteilsfindung eines langen Prozesses, denn vorerst muss die Unschuldsvermutung gelten – was Sie nicht davon abhalten wird, erst einmal die Polizei zu rufen.
Wenn Sie dagegen genau sehen, wie ein Mörder jemanden ermordet, werden Sie ihn kaum als „mutmaßlichen Täter“ titulieren. Begehen Sie deshalb eine Vorverurteilung? Offenkundig, denn momentan warnen sämtliche konservativen Lautsprecher vor einer „Vorverurteilung“ Guttenbergs. Hier geht es nicht um Mord, sondern um eine veröffentlichte Arbeit – das ist das Schöne daran. Dabei kann sich jeder ein klares Urteil über die Vorwürfe bilden: Man muss sich nur seine veröffentlichte Doktorarbeit ansehen und die Artikel und Aufsätze, aus denen er teils wörtlich, teils ganz leicht abgewandelt übernommen hat, ohne es irgendwie zu kennzeichnen. Da ist anhand wissenschaftlicher Zitations- und Benimmregeln nicht viel falsch zu interpretieren.
Soll er? Er sollte nicht!
Die Frage ist also keinesfalls mehr, ob er ungekennzeichnete Passagen einfach übernommen hat. Die Frage lautet nur noch, wie man dies juristisch, politisch oder moralisch bewerten wird. Es handelt sich folglich auch nicht mehr um „Anschuldigungen“, wie in sämtlichen Medien kolportiert wird, sondern um Beweise. Diese Beweise häufen sich. Deshalb ist es auch ziemlich fragwürdig, warum die Zeit oder tagesschau.de noch immer davon sprechen, Guttenberg „soll“ etwas übernommen haben – er hat.
Das haben übrigens auch die FAZ und die NZZ erkannt, aus denen er ja teilweise übernommen hat. Sie fordern folglich zumindest eine Entschuldigung des Ministers. Anders als von der CSU und meinungsstarken Bürgern nunmehr vertreten, kommen diese „Anschuldigungen“ also mitnichten allein aus der „ganz linken Ecke“ oder sind eine bloße „Schmutzkampagne des politischen Gegners“. Die Beweise liegen, wie gesagt, auf dem Tisch. Will man sie nicht zur Kenntnis nehmen, muss man schon die Augen schließen.
Schmutz- und Trutzkampagnen
Es hat sich aber wohl mittlerweile so eingebürgert. Also nicht das Plagiat, sondern dieser Umgang mit Vorwürfen gerade gegen Politiker. So wie jeder Politiker sich anhören muss, dass ihn bei seinen guten Taten – sofern er sie tatsächlich einmal vollbracht hat – nur parteitaktische und opportunistische Beweggründe dazu veranlasst haben, so kann er sich bei sämtlichen Anschuldigungen auf eine mutmaßliche (!] Hetz- oder Schmutzkampagne des politischen Gegners berufen. Oft mögen beide Argumentationsweisen ja sogar stimmen.
Hier geht es aber nicht um politische Standpunkte, bei denen man berufsgemäß unterschiedlicher Auffassung ist, sondern tatsächlich einmal um die Sache. Es geht dieser Vorwurf ja auch nicht den CSU-Politiker, sondern den Menschen Guttenberg etwas an. Das ist für ihn wohl das große Problem, dass er die möglichen negativen Konsequenzen hierbei nicht wird delegieren können. Er ist allein für seine Doktorarbeit verantwortlich und wird sich dafür verantworten, dass er in ihr „gemogelt“ hat.
Und wie es nun gelten sollte, dass man ihn „ohne Ansehen der Person“ – wie es in der Juristerei so schön heißt – behandeln muss, so gilt dies auch für diejenigen, die seine Verfehlungen aufgedeckt haben. Es geht schließlich nicht darum, wem eine Bestrafung Guttenbergs etwas nützt, sondern ob sie rechtens ist. Darüber kann sich, wie gesagt, jeder selbst ein Bild machen.
Wieso nur?
Die Fragen, die man sich im Anschluss wird stellen müssen, sind das eigentlich Interessante daran. Nämlich wieso dieser Betrug nicht schon vorher aufgefallen ist und womit das laut fachkundiger Rezension „mehr als schmeichelhafte“ Prädikat „summa cum laude“ begründet worden ist. Das lässt abermals tief in die Seele des Universitären blicken und kaum auf scharfe Sanktionen hoffen. Vermutlich bleibt das Einzige, was die Verantwortlichen der Fakultät dazu bringen könnte, ihren eigenen Fehler anzuerkennen, der absolute Verlust an Glaubwürdigkeit, der droht, falls sie es nicht tun.
Und dann stellt sich noch die Frage, wieso der Freiherr es überhaupt getan hat. Für mich, obwohl nicht gerade als „Guttensteph“-Fan bekannt, die größte Unklarheit hier. Schließlich ist der Betrug einerseits so stümperhaft – er hätte die Passagen zumindest umformulieren können – andererseits so unnütz, denn er hätte die Passagen auch einfach angeben und auf ihrer Grundlage etwas Ähnliches formulieren können. Dass wäre legitim gewesen und seinem Doktorvater wohl auch nicht weiter aufgefallen – schließlich hat er die Prüfung der Fußnoten kaum allzu genau genommen. Entweder traut er sich also solch eine Leistung nicht zu, oder hält „Legitimität“ schlicht für verzichtbar und sieht keinerlei Verfehlung darin zu stehlen und zu betrügen.
Oder aber er sieht sich selbst tatsächlich als unangreifbar durch solcherlei Kritik. Denn zu guter Letzt: Er hätte sich doch denken können, dass er damit auffliegen wird. Auch wenn sein Doktorvater ihm wohlgesonnen sein mag, sind Doktorarbeiten aufstrebender Politiker immer irgendwann einmal im Fokus zumindest irgendeines Journalisten. Dass er es trotzdem getan hat und nun, wo sein Betrug aufgedeckt wurde, sofort alle Anschuldigungen mit seiner typischen Unfehlbarkeitsmimese als „abstrus“ wegwischt – dass lässt vielleicht am Tiefsten blicken. Dieser Mann hält entweder sich für unfehlbar oder alle Anderen für ziemlich dumm. Er fühlt sich keinem Regelwerk verpflichtet, auch keinem Titel und ist somit das Gegenbild des idealen Adeligen, zu dem er sich so gerne stilisieren lässt. Da hilft auch keine weitere Imageübernachtung in „einem der gefährlichsten Außenposten Afghanistans“ (*machogrunz*) weiter.
Was für ein Aufstand über die Arbeit von Guttenberg. Kopiert oder nicht, was solls. Was mich an der Geschichte am Meisten aufregt ist, dass darüber mehr Aufstand gemacht wird und ein größeres Echo in den Medien findet, als die armen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.
[edit: Wegen Spawmverdachtes Link entfernt]
Ich kann diese Einschätzung nicht ganz teilen. Zum ersten Punkt: Was soll‘s? Tja, was soll‘s, wenn man sich durch Betrug Auszeichnungen erwirbt? Legalisieren wir doch auch Doping, Raubkopieren, Wahl- und Wettmanipulationen. Und in der Wissenschaft, mein Gott – schaffen wir den Plagiatsvorwurf ab und hören auf, selbst zu denken und zu arbeiten. Was soll’s. Wir wären ja dumm, wenn wir es nicht täten. Im konservativen Lager scheint man ja sowieso eine hohe Toleranz gegen wirtschaftliche Formen der Kriminalität zu haben. In den Zeiten, in denen Adel noch etwas galt, hätte man solch ein Verhalten schlicht als „ehrenrührig“ bezeichnet – aber von Ehre halten Konservative offensichtlich weniger als die „Linksaußen“.
Zweitens sind unsere Soldaten in Afghanistan sicher nicht arm. Sie verdienen sehr gut und bekommen darüber hinaus Nahrung und Unterkunft gestellt. Dabei scheint ihnen so langweilig zu sein, dass sie in ihrer Freizeit mit geladenen Waffen herumalbern und sich dabei gegenseitig erschießen.
Den Sarkasmus aber einmal beiseite gelassen, kann ich nur sagen, dass über unsere armen, psychisch verwahrlosten und gesellschaftlich völlig missachteten Soldaten alle 2 Wochen ein Leitartikel in irgendeiner deutschen Zeitung erscheint. Darin wird aber weniger auf die strukturellen Probleme eingegangen als darauf, dass Soldaten in Kriegseinsätzen nun einmal arm dran sind. Das ist überall so, war überall so, wird überall so sein. Soldaten in Kampfeinsätzen sind Gefahren und Belastungen ausgesetzt – daran lässt sich nichts ändern. Es ließe sich aber besser organisieren und an strategischen, nicht rein politischen Zielsetzungen ausrichten. Sind erstere nicht erfüllbar oder letztere fadenscheinig, sollte man einen Kampfeinsatz beenden. Gerade wir Deutschen sollten das gelernt haben.
Der Hoffnungsträger heißt also Guttenberg – weil er ja ein so toller Verteidigungsminister ist und die richtigen Worte („Krieg“, „Stolz“, „Held“) findet. Dass Soldaten sogar abseits der Front jedoch mittlerweile Unmut über ihren Verteidigungsminister äußern, da ihm seine Öffentlichkeitswirkung offensichtlich wichtiger ist als der korrekte Umgang mit der Truppe, wollen Viele dabei nicht für wahr nehmen. Soldaten sind eben nur solange toll, wie man stolz auf sie sein kann, oder eben nicht – je nach Standpunkt.
Es wird schon interessant, wie die so hoch gelobte Wehrreform des Ministers sich auswirken wird. Es zeichnet sich jetzt schon konkret ab, dass ohne Wehrpflicht viel zu wenig Rekruten freiwillig in die Armee eintreten wollen und diese „verschlankte“ Armee sämtlichen Sparankündigungen Hohn spricht. Und das obschon die Ausrüstung der Bundeswehr zum größten Teil gerade auf den aktuellen Stand gebracht wurde. Nur befindet sich dieser immer ein halbes Jahrzehnt hinter den aktuellen Einsätzen. Und wie es typisch für diesen Minister ist, stellt er einfach fest, dass seine groß angekündigten Sparmaßnahmen nun einmal nicht realistisch sind. Wer daran Kritik äußert, der hat nach seinem Dafürhalten entweder keine Ahnung oder ist ein sonstwie minderwertiger Mensch – ein Kritiker eben. Denn „dagegen sein, das ist das Gegenteil von bürgerlicher Politik“.
Explizit: Was soll’s?
Auch hier der Hinweis, dass „eiopa“ vielleicht als Stichwortgeber taugt, einen Beitrag zur Diskussion jedoch gar nicht leisten wollte. Hier: http://www.forschungsmafia.de/blog/2011/02/17/schlechte-wissenschaft-und-tauschung-auseinanderhalten/#comment-3198 habe ich darauf hingewiesen, dass es sich um einen Massen-Kommentar zur Werbung für die hinterlegte URL handelt, die nun nichts zu tun hat mit der Sache, sondern nur mit Suchmaschinenoptimierung.
Ach ja: Da ich immer noch kein früheres identisches Posting dieses eiopas gefunden habe, betrachte ich mein Blog als Erstveröffentlichung und jedes weitere Vorkommen als Plagiat. ;-)
Besten Dank für den Hinweis, habe den Link ebenfalls entfernt.
Ich trete den Plagiats-Vorwürfen entschieden entgegen und kann nur nochmals versichern, dass ich alle meine Kommentare in mühevollster Kleinarbeit über 5 Jahre hinweg, neben meiner Tätigkeit als Student und Bohémien, selbst verfasst habe…. Moment mal….
Interessant im übrigen, dass die Zeit nun auch auf den Trichter gekommen ist, dass er nicht nur abgeschrieben haben „soll“. Und zwar nachdem jemand sie darauf hingewiesen hat, dass er auch aus der Zeit selbst abgeschrieben hat. Das scheint das einzige Heilmittel gegen Konjunktivsätze zu sein.