Zu dieser schneidigen Frage hat der Cabman eine interessante Stellungname abgegeben. Meinen Kommentar dazu kann ich aus purem Geltungsdrang deshalb auch ihnen nicht vorenthalten:
Wenn uns der Fordismus Eines gelehrt hat, dann dass der unregulierte Markt eine tendenziell unendliche Nachfrage entwickeln muss, um den industriellen Motor am Laufen zu halten. Wie wir ja alle wissen braucht die Wirtschaft ein Wachstum von gut 2 % um nicht zusammenzubrechen. Stagnation ist Rückschritt – seltsamerweise. In dieses Bild passen auch die von Cabman beschriebenen Phänomene gut herein, gerade das Joghurtregal ist da mein liebstes Anschauungsobjekt.
Ein Beispiel: Wie wird fettarme Milch hergestellt? Ich dachte früher: „Das ist doch ganz einfach. Milch besteht zu etwa 90 Prozent aus Wasser, dann kommen noch 3,5% Fett dazu. Wir wollen Milch mit 1,5% statt 3,5% Fett. Was machen wir also? Genau, einfach verdünnen.“ Denkste! Das wasserunlösliche Milchfett wird maschinell von der Milch getrennt, die Wässrige Lösung, die zurück bleibt, dann mit demselben Fett wieder auf den gewünschten Fettgehalt angereichert (z.b. 1,5 %) und unter Hochdruck homogenisiert, damit es wieder wie normale Milch aussieht.
Im Gegensatz zu den meisten Lightprodukten ist fettarme Milch dabei billiger als das Ursprungsprodukt, weil wir es hier eigentlich nur mit dem recycelten Abfall der Produktion eines neuen Rohstoffs zu tun haben: Rahm (Milchfett). Andere Light Produkte wie Camembert müssen künstlich mit Schweineschwartenmehl (Gelatine), Guarkernmehl oder ähnlichen Emulgatoren gestreckt werden, um zumindest dem ursprünglichen „Biss“ nahe zu kommen. Sie werden dadurch in der Herstellung teurer.
Blicken wir nun noch einmal auf die Molkereiproduktpalette. Standen wir im Laufe diesen Jahres vor einem Supermarktregal, so mussten wir zwischen den früher als neue, zeitgemäße Alternative angepriesenen Light-Produkten nach dem unbehandelten Vollfettjoghurt schon angestrengten Auges suchen. Hier werden mittlerweile nicht mehr 10 Sorten von 10 Herstellern angeboten, sondern vielleicht noch zwei oder drei. Die meisten Hersteller haben an Vollfettjoghurt nur noch den so genannten Naturjoghurt im Programm – wenn überhaupt.
Wie kann das sein? Diktiert nun das Angebot die Nachfrage oder warum sind wir plötzlich allesamt bereit 20 % mehr für ein Produkt mit weniger Nährwert auszugeben? Liegt es etwa daran, dass gesichert bewiesen worden wäre, dass ein fettarmer Joghurt gesünder ist als ein Vollfettjoghurt? Es braucht nicht viel Recherche um diese weitläufige Meinung zu entkräften. Doch wieso ist sie eigentlich so weitläufig?
Schalten sie mal den Fernseher ein. Es wird nicht lang dauern, bis sie auf einen Werbeblock stoßen. Dort werden sie zwar hören, dass laut einer Umfrage der Zeitschrift „Men’s Health“ 90% der Leser mittlerweile überzeugt sind sich am ganzen Körper enthaaren zu müssen, um attraktiv auf Frauen zu wirken, JBK wird ihnen aber nicht mehr lang und breit erklären müssen, dass unter einer „bewussten und zeitgemäßen Ernährung“ vor allem eine fettarme zu verstehen ist. Das ist Usus. Das wissen wir schon seit Jahren. Fragen sie sich mal woher wir das eigentlich wissen (wie gesagt, es braucht keine lange Recherche, dieses „Wissen“ in der platonischen Einteilung zur Meinung zu degradieren).
Naja, nun wissen wir es jedenfalls und bezahlen für unseren Joghurt 20% mehr, ohne dass er noch groß beworben werden müsste. Also ist die Anfangsinvestition wieder drin, das Geld für Werbung, für neue Anlagen. Schönes Konjunkturprogramm. Es gibt sogar große Synergieeffekte, da ja fast nichts mehr als fettarmer Joghurt hergestellt wird. Wir zahlen also gar nicht die 20% mehr für diesen Joghurt. Na wunderbar, alle haben von diesem Prozess ungeheuer profitiert. Die Kunden zahlen nur noch etwa 10% mehr für einen Joghurt mit bis zu 95% weniger Nährwert und bleiben dadurch rank und schlank. Aber…
Ja, es ist doch meist so wie Cabman schon schrieb. Man isst sich halt langsam satt am ewig gleichen und der Markt braucht neue Angebote um die Nachfrage und damit die Wertschöpfungsmöglichkeiten zu erhöhen. Irgendwann lassen sich leider keine fettärmeren Joghurte mehr produzieren, als jene mit 0,001%, denn homöopathisch verdicktes Wasser allein macht noch kein Molkereiprodukt und auch die Imagination hat irgendwo ihre Grenzen. Was macht der Marketingexperte also, wenn keiner eine neue Idee hat, von der er abkupfern könnte? Richtig, er wärmt eine alte Idee auf. Was ist an Vollfettjoghurt eigentlich so schlecht? Immerhin hat auch der „das beste aus einem Liter Milch“ in sich. Auch ist er viel weniger behandelt, nahezu „natürlich“, wenn auch homogenisiert und pasteurisiert, doch immerhin fast biologisch aktiv. Ja, man könnte fast sagen gesund mit wertvollem Milcheiweiß, Mineralien und so weiter. Außerdem, war damals nicht sowieso alles viel besser, als die Leute noch ihre dicken Kannen fetter Milch direkt vom Bauern holten? Also warum bewerben wir nicht mal eine Milch eher für den romantischen Naturmenschen? Da braucht es nur einen kernigen Titel: „Landsehnsucht-Joghurt“ oder „ Bauernliebe-Vollmilch“. Und da wir hier schließlich ein Premium Produkt bewerben mit hohem Nährwert, das unbehandelt, sozusagen reiner und weniger industrialisiert ist, machen wir es einfach etwas teurer als die Light Produkte – das klingt auch gleich plausibel.
Nun haben wir also nährwertärmeren Joghurt, der 10 % teurer ist und Vollnährwertjoghurt, der 20 % mehr kostet … als was eigentlich? Ach ja, als früher. Das nennt man dann Inflation. Sehr unschön, wenn die plötzlich über 3% steigt. Zumal, wenn man über die Hälfte seines Einkommens direkt für Lebensmittel (Produkte) ausgeben muss und nicht etwa für Dienstleistungen (Makler, Berater, Putzfrau).
Was hat das alles mit dem oben angesprochenen Thema zu tun? Man sollte sich vielleicht fragen warum die Explosion der Werbemittel mit dem Zusammenbruch kleinerer Betriebe für Alltagsprodukte korreliert – und danach noch einmal, warum wir 20 Sorten Erdbeerjoghurt von etwa 4 Konzernen brauchen. Weil man es uns ganz einfach sehr plausibel machen kann, dass wir sie brauchen. Das heißt noch lange nicht, dass ich nicht auch mal gerne einen neuen 4-Korn Joghurt probiere, im Gegenteil. Aber möchte ich 20% mehr für diesen Joghurt bezahlen nur um das Gefühl zu haben, dass ich ihn unbedingt brauche? Naja, eine eher philosophische Frage. Sie geht auch an der wandelbaren Realität vorbei.
Wir brauchen eine tendenziell unendliche Nachfrage und wir brauchen die unglaublich großen Mengen an Ressourcen, die dabei vernichtet werden ganz einfach deshalb, weil die Weltwirtschaft in unseren Breiten nicht von dem Preis der Arbeit sondern der Konsumkapazität abhängt. Wer, glauben Sie, soll denn die Produkte aus Kinderhand kaufen, wenn der Deutsche keine 9 Euro die Stunde mehr verdient? Die reichen Inder? So viele sind das auch noch nicht.
Kapitalismus ist expansiv, er muss immer größer werden, immer mehr produzieren, immer mehr absetzen, immer mehr verbrauchen. Da braucht man kein Wirtschaftsexperte sein, es ist ein Schneeballeffekt. Kapitalismus, besonders Ovo-Lacto-Kapitalismus, widerspricht hier dem von Cabman zitierten Gossenschen Gesetz – er kann sich nicht satt fressen. Und darauf basiert auch unser Leben, denn sind wir ehrlich, dann streben wir doch alle danach, die von uns verbrauchbaren Ressourcenpotentiale zu steigern. Haben wir erst ein Auto, werden wir nicht mehr darauf verzichten wollen. Haben wir erst einen Computer, kommen wir nicht mehr ohne aus. Was Optionen angeht, wird der Mensch nicht satt. Man kann die Möglichkeit zu Hungern als Wellnessfasten verkaufen, aber nicht den Lebensmittelmangel. Mit noch so guter Werbung wird man dem Menschen nicht plausibel machen können, warum er sein Auto ganz aufgeben soll. Deshalb erscheint mir die Klimakrise, wenn sie denn wirklich so auswirkungsreich sein sollte, wie momentan kolportiert, als besonders fatal.
Was für grundsätzliche Gedanken man doch angesichts einer Käsetheke hervorbringen kann. Und diesem Orte angemessen schlage ich auch eine Lösung vor, zumindest das von mir selbst verbrauchbare Ressourcenpotential nachhaltig zu steigern: Gonzosophenherrschaft.