Da sich die Menschen in den Frühlingstagen und Nächten unverdrießlich bemerkbar zu machen bemüht sind, wundert es einen manchmal doch, dass im Gegensatz zu jenen sehr viele Tiere bei Balz und Paarung eine ganz und gar wohlklingende Geräuschkulisse erzeugen. Schon immer lauschte ich gerne dem Zirpen der Insekten oder dem im Garten meines Elternhauses gelegenen Froschteich mit seinem dumpfen und durchaus schlaffördernden Herumgequake. Solche und andere wehmütige Kindheitserinnerungen, der Kauz etwa, welcher allabendlich aus dem nahen Moor herüber huhute, treten gerne in Verbindung mit nun einmal nostalgischen Gedenktagen auf. Jetzt ist der Muttertag zwar schon etwas her, doch erlaubt es mir meine Zerstreutheit und Mittellosigkeit für gewöhnlich selbst zu unbeweglichen Anlässen Geschenke noch Wochen später nachzureichen.
Ich hatte also „Die Vermessung des Himmels“ von Daniel Kehlmann einerseits deshalb bestellt, da er in der Zeit und von den Personen handelt, die, wie sie vielleicht aus der Lektüre meiner Texte wissen, mein Denken seit Längerem beschäftigen. Andererseits war er mir empfohlen worden und ich weiß im Übrigen, dass meine Mutter historische Romane gerne liest. Nun ist es ja meiner Meinung nach ein Kompliment, jemandem ein Buch zu schenken. Wie jedes Kompliment sollte aber auch dieses stets dem Empfänger angemessen sein – sonst wird es peinlich. Ohne sich in irgendeiner Form seiner Qualität zu versichern sollte man solche Geschenke also nicht tätigen. Folglich begann ich das erste Kapitel vorsichtig zu lesen, streng darauf achtend keinerlei Gebrauchsspuren zu hinterlassen.
Und nun passierte etwas, das seit Regeners „Herr Lehmann“ nicht mehr vorgekommen war: Ich las ein Geschenkbuch in einem Zuge weiter, bis ich irgendwann bei Seite 100 angekommen und der Tag vergangen war. Das lag vor allem daran, dass dieses Buch so stringent ist. Es bleibt sachlich, vermeidet wörtliche Rede und kommt in seinem Stil wohl dem Denken der Protagonisten recht nahe. Die Erzählung glänzt vor allem durch ihre Ironie, mit welcher Kehlmann seine zentralen Figuren Humboldt und Gauss schildert, die er aber auch zu seinem eigenen Genre des Historienromans einnimmt. Manchmal gemein, doch nie fies, ist die amüsante Darstellung der beiden verschrobenen Genies und des Weges, den sie sich durch ihren jeweiligen Dschungel erkämpfen. Doch diese Pointiertheit wird beinahe zum Verhängnis, wenn Gauss abermals von der uns nicht fernen Zukunft schwärmt, in der wohl alles viel bequemer sein werde, und in welcher man sich dann zu leben glücklich schätzen dürfe, während Humboldt verlegen, in zerknitterter Preußenuniform vor der nächsten Nackten herumdruckst. Man kann dies Kehlmann aber kaum vorwerfen, wäre dem Publikum wohl weniger Klischee viel zu unplausibel und vor allem zu langweilig. Und nicht zuletzt seine sachliche Höflichkeit, mit der er uns von den Unpässlichkeiten seiner Protagonisten berichtet, bewahrt dann doch vor dem Abflachen zur Lachnummer. So bleibt es ein interessantes, ein erfrischendes Buch, dass von mir noch kein letztes Urteil erhält, denn:
140 Seiten habe ich erst gelesen und Morgen werde ich es meiner verehrten Mutter schicken. Ich bin mir nicht sicher, ob es ihr gefallen wird, werde sie aber bitten, es mir in jedem Falle einmal zumindest leihweise zur Verfügung zu stellen. Vielleicht kann ich dann ja meine Meinung komplettieren.
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