Ich vertrete ja die Ansicht, dass unsere Kultur seit in den 90er Jahren, welche die Hochphasen der Ironie, Toleranz und Laissez-faire-Mentalität beinhalteten, in einem stetigen Niedergang befindlich ist. Allerorten werden nun wieder Familie, Ordnung und Pünktlichkeit propagiert, macht man sich nicht mehr lächerlich, wenn man den Macho als Idealmodell und die Ironie als Teufelswerk bezeichnet. Die Frauen scheint das härteste Schicksal zu treffen, müssen sie doch im Sinne einer „neuen Weiblichkeit“ dem ästhetischen Ideal einer gänzlich Schutz- und Nutzlosen Person nacheifern. Also sowohl auf funktionale Bekleidung oder gesellschaftlich relevante Aufgaben, als auch auf Körperbehaarung oder Kopftuch verzichten. Wie das mit dem angeblichen „Pragmatismus“ als Religion unserer Zeit zusammenzubringen ist, eröffnet sich mir nicht.
Noch schwerere Zeiten sind nun wohl für schwule Jugendliche in den USA angebrochen. Sie werden neuerdings durch eine Online-Plattform dazu aufgerufen, weiter durchzuhalten und nicht, wie zuletzt mehrfach geschehen, einfach Selbstmord zu begehen. Da mag das religiöse und betont konservative Klima in Amerika weit aufgeheizter sein als unseres und deshalb so eine Aktion sinnvoll. Was es jedoch bringen soll, Jugendlichen zu erzählen, nach dem College würden sich alle ihre Probleme in Luft auflösen, sollte man sich schon fragen.
Diese Skepsis ist jedoch sicher meiner deutschen Herkunft geschuldet, haben wir doch mittlerweile ein eher ambivalentes Verhältnis zu Durchhalteparolen, noch dazu aus den Schaltzentralen der politischen Führung. Auch mag man sich kaum vorstellen, dass unsere Kanzlerin mit ihrer betont optimistischen Redehaltung jemals irgendwen dazu bewegen könnte, frischen Mut zu schöpfen. („Da müssen sich die Homosexuellen und die Nazis an einen Tisch setzen und eine gemeinsame Lösung erarbeiten.“)
Wenn selbst Präsidenten anscheinend keine Mittel haben, als Betroffenen gut zuzureden, dann wird das zugrunde liegende Übel – wie sagt der Rotfrontfreund so schön – systemischen Ursprungs sein müssen. Doch vielleicht ist es auch einfach eine Modeerscheinung. Ressentiments sind ja laut Medienberichten wieder „In“. Um den Anschluss zum Otto-Normalverbraucher zu halten, wird meine Wochenaufgabe nun auch erst einmal sein, eine Bevölkerungsgruppe zum Diskriminieren zu finden. Für konstruktive Vorschläge in dieser Richtung habe ich immer ein offenes Ohr.
Wenn Du Dich von der Masse abheben willst, würde ich Dir Sorben vorschlagen. Wo bei denen die Schwachpunkte liegen, musst Du Dir aber selbst erarbeiten.
@Topic: Natürlich liegt die Kritik nahe zu fragen, wie eine Kampagne zum Durchhalten aufrufen kann, anstatt die Probleme an der Seite anzupacken, auf der sie liegen.
Auf der anderen Seite bin ich so naiv (und noch jung genug?), zu glauben, dass die Zeit der Kindheit und Jugend besonders viele Probleme mitsichbringt, die gleichzeitig bewältigt werden müssen und außerdem sowohl mehr gemobbt wird (Kinder sind Monster und Ungeheuer, weil sie (noch) keine Hemmungen haben), als auch das Mobbing ernster genommen wird, weil man evtl. noch nicht die Bezugspunkte im Leben gefunden hat und es natürlich auch so ist, dass damit der teilweise einzige Berührungspunkt mit der sozialen Außenwelt verseucht wird.
Auf der anderen Seite, wissen wir natürlich alle, dass sich Probleme in späteren Lebensjahren relativieren und man mit fortgeschrittenem Alter (und Lebenserfahrung) entspannter mit gewissen Situationen umgehen kann und dann auch bei weitem nicht mehr so hilflos ist.
Ich bin weit davon entfernt Homophobie gutheißen zu wollen und sicher sollte von einem Präsidenten (der USA!) mehr zu erwarten sein, als der Aufruf sich doch bitte nicht umzubringen, aber ich begrüße es, dass es eine Organisation (unterstützt von Opfern, die selbst diskriminiert wurden) gibt, die Schadensbegrenzung betreibt und versucht, verzweifelten Menschen einen halt zu geben, während die Verantwortlichen die Füße still halten.
Dass der Einwand nicht unberechtigt ist, sieht man schon an dem meist recht jungen Lebensalter von Amokläufern. Natürlich sind Kinder besonders grausam, weil sie nicht nachhaltig denken/handeln (können). Dennoch wird so ja auch der Eindruck erweckt, die Probleme des Mobbing und der Diskriminierung verschwänden ab einem gewissen Alter. Diese Auffassung wird heute gerne vertreten und so getan, als ob ein gesellschaftlich akzeptierter CSD in Köln etwa das Ende der Empörung über einen schwulen Fußballtrainer in Altschläfchensdorf bedeuten würde. Oder dass die Zusammenballung diversester Sonderlinge in Internetforen für selbige den Status des Sonderlings innerhalb der Restgesellschaft aufhöbe. Die Frage bleibt im Raum, ob man sich mittlerweile tatsächlich besser wehren kann, oder sich einfach mit höherem Alter mit vielen Problemen abgefunden hat.
PS: Sorben wären schonmal gut, da ich mich mit ihrer Küche zuletzt nicht sonderlich anfreunden konnte. Dennoch finde ich es schwierig die Gruppe ethnisch einzugrenzen. Damit habe ich bisher keine guten Erfahrungen gemacht…