Glaukon: Wenn du, mein Sokrates, einen Staat von Schweinen anlegtest, womit sonst würdest du sie denn füttern, als damit? (Platon, Der Staat, 372 d)
Das ist mein aktuelles Lieblingszitat, da ich es jeden Tag ein paar Mal anbringen könnte. Es passt einfach so gut zu sämtlichen öffentlichen Entwicklungen. Ob man sich gerade noch über die Medien aufregt, oder schon wieder gegenüber der Politik resigniert. Beides fällt beispielsweise angesichts des neuerlichen Artikels („Das erregte Land“) von Matthias Krupa auf Seite 1 der „Zeit“ nicht sonderlich schwer. Dort wirft er der Bevölkerung „Manie“ vor, verdächtigt sie der Hysterie oder der schlichten Verrücktheit. Warum? Weil sie sich neuerdings aufregt, ja sogar aufbegehrt gegen doch nüchtern betrachtet gänzlich in Ordnung gehende Projekte wie neue Bahnhöfe, Atommülldeponien oder Fremdenfeindlichkeit. Dabei sei doch alles im Lot: In Deutschland „brennen bislang – zum Glück – nur ein paar Mülleimer“ (MK), wohl vor allem aus ästhetischen Gründen. Von sozialer Kälte sei nämlich keine Spur, die Wirtschaft brummt und die Zahl der Beschäftigungslosen sinkt kontinuierlich.
Die Wirtschaft brummt, doch der Bürger murrt
Der pöbelhafte Unmut sei deshalb gänzlich irrational und gefährde folgende, urdeutsche Tatsache: „Bislang hat noch jede Regierung, ob im Bund oder in den Ländern, davon profitiert, wenn die Wirtschaft boomte“ (MK) – die Regierung vielleicht. Bei denjenigen, die den Profit erwirtschaften, kommt nur leider recht wenig davon an. Unlängst gar nichts mehr. Trotzdem verwundert Herrn Krupa, dass „sich die Wachstumsraten und die Zustimmungswerte weitgehend entkoppelt“ (MK)haben, so wie die Wachstumsraten es schon vorher mit den Lohnzuwachsraten gemacht haben. Anscheinend sind es also nicht die Menschen, sondern die Wachstumsraten, die völlig außer Rand und Band sind.
Und so sieht auch der Autor ein großes Maß an Unverantwortlichkeit in unserer Gesellschaft. Allerdings lustigerweise auf Seiten der breiten Bevölkerung, die mit ihrem Zorn gegen undurchsichtige Absprachen von Regierungen und Wirtschaftsunternehmen, mit ihrer Unzufriedenheit über das international anerkannte Prädikat „Billiglohnland“ für Deutschland, mit ihrer Kritik gegen Klüngelei und Gängelei in Baden-Württemberg das Vertrauen in die Politik langfristig beschädigen würden.
Kausalkette mal anders
Das finde ich eine wunderbare Argumentation. Sollte mich der Schutzmann einmal beim Klauen erwischen, werde ich ihm vorhalten, damit untergrabe er auf unverantwortliche Weise mein Vertrauen in das Rechtssystem. Bei solchem Geschwurbel fragt man sich schon, wer hier tatsächlich verrückt geworden ist. Nebenbei bemerkt, kommt es laut Wikipedia bei einer Manie “zu einer Überanstrengung von Gehirnbereichen.“ Das ist dem Bundesbürger beileibe nicht zu wünschen. Denken war seine Sache bisher nicht und deswegen kann derlei Protest etablierte Journalisten wie Politiker mit Sicherheit sehr verwundern. Mich umso mehr.
Krupa: „Heute befördert der Zorn der Bürger die Erosion einer politischen Ordnung, die ohnehin labil geworden ist.“ Ja hoffentlich! Weltgeist, ick hör dir trapsen. Und ganz folgerichtig schließt der Autor mit dem Satz: „Auch Bürger tragen in der Demokratie Verantwortung.“ Schön, wenn sie diese denn nun endlich auch einmal wahrnehmen. Doch halt, ganz im Sinne Platons sollte man Herrn Krupa abschließend vielleicht einmal fragen, wen es eigentlich seiner Meinung nach in der Demokratie sonst noch gibt, außer den Bürgern?
Wer über diesen Artikel auf einer seriösen Plattform und nicht innerhalb eines solch anrüchigen Blogs diskutieren möchte, der wende sich an diese Adresse.
„Schafft aber die Lohnarbeit, die Arbeit des Proletariers ihm Eigentum? Keineswegs. Sie schafft das Kapital, d.h. das Eigentum, welches die Lohnarbeit ausbeutet, welches sich nur unter der Bedingung vermehren kann, daß es neue Lohnarbeit erzeugt, um sie von neuem auszubeuten. Das Eigentum in seiner heutigen Gestalt bewegt sich in dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit.“
Marx, Engels – Manifest der kommunistischen Partei
Soviel zu sinkenden Reallöhnen
der zorn des volkes und so weiter. ich finde streiken in der regel richtig. der fehler an streiks ist oft allerdings das sich das volk ins eigene fleisch schneidet und in sachen der eigenen existenz weit höhre opfer bringt als die bestreikten. oft muss man sich auch fragen WER bestreikt wird.
beispiel vorletztes jahr. in ganz nrw schließen kitas weil die erzieherinnen auf die straße gehen. leidtragende sind die träger?
eher nicht. leidtragende sind die eltern welche wochenlang ihre kinder sonstwo unterbringen mussten. eltern die nicht zur arbeit konnten. ihren resturlaub aufbrauchten und überstunden nehmen mussten oder für teures geld tagesmütter engagierten.
Da haben die eltern mal gesehen was sie an uns haben und wie wichtig wir für sie sind. Solidarisiert haben sie sich natürlich kaum bis gar nicht. Im gegenteil. Noch heute werden uns die streiks vorgehalten. und ich hab nicht mal mit gestreikt – denn ich war in einer evangelischen einrichtung zu der zeit.
konfeszionelle kitas sind in der regel nicht gewerkschaftlich organisiert – also streiken eh nur erzieher die bei der awo oder städten angestellt sind. Ich schweife ab.
Ich schrieb gerade das da die eltern mal gesehen haben was sie an uns haben. Aber die träger? Die regieren ganz entspannt. Um die lohnkosten im griff zu behalten werden junge menschen eingestellt. Diese bekommen jahresverträge. Und aus die maus. Da merkt man fast nix von der angeblichen lohnsteigerung. Nun gut. Die bestreikten träger mussten teile der kitagebühren erstatten. Das wars aber auch. Denn sie mussten die angestellten ja auch nicht bezahlen. Streikgeld gabs von der gewerkschaft.
Zu den zuständen in frankreich muss ich allerdings sagen, dass es mir da zu weit geht. Das gesetz ist durch. Da kann man nichts machen. Trotzdem wird weitergestreikt. Das öffentliche leben lahmgelegt. Der mittelstand leidet enorm darunter. Außerdem ist die lage dort komplexer. Wer mir jetzt mit renten ab 67 kommt hat nur teilweise recht. Sicher muss man sich gegen sowas wehren. Wir deutschen machen das nicht. Aber die franzosen. Hut ab. Nur gibt es da weitere fronten. Unzufriedene jugendliche lassen ebenso ihren frust raus. Ziehen um die häuser und zünden schon wieder autos an. Und lachen frech in die kamera. Was soll sowas? Klar. Frustration muss raus. Aber wenn die in ihren eigenen vierteln umherziehen und teilweise die eigenen häuser/schulen/kitas/autos/geschäfte verwüsten, dann schneiden die sich ins eigene fleisch. Merkt ganz oben jemand etwas davon? Nein.
Sie wollen auf ihre lage aufmerksam machen. Das weiß ich. Und das müssen sie auch. Aber ist es da nicht DUMM in den eigenen vorgarten zu pinkeln? sollte man nicht lieber nach paris ziehen und dann mal mit ner million leuten das regierungsviertel besuchen?
Auch das lahmlegen der infrastruktur schadet in erster linie den eigenen leuten. Kleine firmen sterben. Die hygienischen zustände lassen zu wünschen übrig weil der müll liegenbleibt. Ich sage es nochmal: der mittelstand handelt sich eine handfeste grippe ein während der staat und die großkonzern – welche ja den zorn zu spüren bekommen sollen – gerade mal gepflegt in ihr seidenes taschentuch schnauben. Die haben die mittel das auszusitzen. Aber ein jean baptis mit seinem malerbetrieb geht zugrunde. Das kann es auch nicht sein. Ist aber leider so.
ich kann jeden verstehen der streikt. Und ich kann jeden verstehen der von streiks die nase voll hat, weil er im müll leben muss, nicht zur arbeit kann und nicht weiß ob er nächste woche noch arbeit hat.
Ich freue mich über diese sozialpolitische Debatte, die schon wieder auszuufern droht.
Kapitalismuskritik im Sinne Marxens hat natürlich immer ihren Platz. Nur glaube ich leider auch, dass gerade die neuerlichen Proteste weniger mit „Marktwirtschaft“ an sich als vielmehr mit den unliebsamen und undurchsichtigen Verknüpfungen von Wirtschaft und Politik zu tun haben. Die rufen ein Gefühl von Ohnmacht hervor, weil man bei Stuttgart 21,Laufzeitverlängerung etc. das Gefühl hat, nicht beachtet zu werden. Das ist ja auch größtenteils richtig und die Kritik daran begrüßenswert. Dabei spielt meiner Meinung nach nicht die größte Rolle, dass Menschen unbedingt wieder eine Politik mit „Visionen“ und harter Rhetorik wollen. Eher wollen sie Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Darum bemüht sich eine Regierung allerdings nicht mehr unbedingt in einem Land, in dem sie bereits seit Generationen an der Macht ist (BaWü). „Was wollt ihr denn? Läuft doch alles. Nur keine Fragen stellen…“ Was allerdings die Bundesregierung dabei reitet, solch unpopuläre und gleichzeitig sachpolitisch falsche Entscheidungen zu treffen – das kann ich mir wirklich beim besten Willen nicht erklären.
Zu den Streiks: Ich frage mich, wer in diesem Sinne mit Mittelstand gemeint ist und wieso selbiger dadurch betroffen sein sollte. Ich hab noch nie von einer bestreikten Klempnerei gehört. Die Proteste in Frankreich sind tatsächlich etwas weitgreifend, aber das hat nicht nur etwas mit der besagten Rente, sondern vor allem mit dem franz. Präsidenten zu tun. Der hat nun übrigens die Zwangsarbeit wieder eingeführt – wer weiterhin wichtige Betriebe bestreikt, müsse mit 5 Jahren Gefängnis rechnen. Wohlgemerkt nicht fürs Blockieren oder anzünden von etwas, sondern für’s Zuhause bleiben. Ich hoffe dann gilt man nach solch einer Verurteilung aufgrund passiven Widerstandes auch offiziell als politischer Gefangener.
Ich finde übrigens wunderbar, dass viele Deutsche gar nicht verstehen, warum jetzt z.b. Chemiearbeiter gegen die Rente oder Busfahrer gegen Studiengebühren streiken. „Unerhört!“ rufen sie aus. Allerdings, von Solidaritätsstreiks hat man in Deutschland tatsächlich lange nichts mehr gehört. Den Begriff Solidarität kennt der gewöhnliche Deutsche wohl nur noch von der Lohnsteuer.
Um nochmal auf den kleinen Mann zurückzukommen, der bei Streiks alles ausbaden muss. Dem geht es in Frankreich eigentlich viel besser als hierzulande. Er verdient besser und hat bessere Sozialeinrichtungen, auch KiTas usw. Das liegt auch daran bzw. befördert den Umstand, dass französische Frauen in viel höherem Maße Mütter und berufstätig sind, während die deutsche Frau eher Eva Herrmann nachfolgt.
Ganz zum Schluss möchte ich nochmal auf Italien hinweisen, wo man nunmehr völlig im Müll versinkt, während man gegen jede neue Mülldeponie streikt. Dagegen, dass die Mafia den Müll einfach irgendwo vergräbt oder vorm Strand verklappt, hat seltsamerweise nie jemand gestreikt. Und da hat ja alles auch noch irgendwie besser funktioniert. Vielleicht wäre das ja auch ein Modell für Frankreich und Dland. Also Mafia. Müsste man mal jemanden fragen, der sich mit so etwas auskennt.
lieber gonzosoph
wie in frankreich der mittelstand von den streiks betroffen ist? klar. keiner bestreikt einen malerbetrieb oder ein herrenmodengeschäft. zumindest nicht direkt. jedoch indirekt. der herrenmodenladen liegt in der stadt. dort liegen berge von müll. die kundschaft bleibt aus weil sie die verdreckte stadt nicht betritt.
das abzustreiten ihrerseits, lieber gonzosoph, ist ja schon fast als ausblendung der realität zugunsten politischer ideale zu bezeichnen.
der malerbetrieb oder die spedition kann nicht arbeiten weil es an benzin und waren fehlt. ich bitte sie. das sind nur 3 kleine beispiele. und man könnte 1000 weitere bringen die belegen das großangelegte streiks wie in frankreich durchaus den mittelstand schaden.
im fallen des einzelhandels ist es schon zu situationen gekommen das sich die ladenbesitzer zusammentaten, lkw und männer mieteten und den dreck selbst weg machten. stand neulich auch in den gängigen onlinemedien. in diesem fall glaube ich das sogar weil namen genannt wurden. nun gut. da es mir im moment nicht möglich ist das mit quellen zu belegen können sie letzteres natürlich auch als quatsch abtun.
zur mafia: erst wettern sie gegen den autoritären stil der französischen regierung (ZU RECHT MACHEN SIE DAS) und gleichzeitig sagen sie – gewiss mit einem augenzwinkern – dass mafiöse strukturen wünschenswert wären. NA WAS DENN NUN! die mafia wirft sicher nicht mit rosa watte. entscheiden sie sich.
Nachtrag: Der behandelte Artikel ist nun auch auf Zeit-Online verfügbar:
http://www.zeit.de/2010/43/01-Buerger-Medien-Demokratie
Zum Myspaceopfer sei gesagt: Ich kann mir kaum vorstellen, dass Menschen die Innenstädte nicht mehr besuchen würden, wenn sie verdreckt wären. Wo soll man denn dann zum Shoppen hingehen? In den örtlichen Supermarkt?
Der Mangel an Benzin als Streikfolge ist diesmal wohl einmalig. Sie sprachen jedoch davon, dass Streiks immer und vor allem den Mittelstand träfen. Das halte ich für ein Gerücht. Gerüchten zufolge trifft nämlich immer alles den Mittelstand, den es ja Gerüchten zufolge gar nicht mehr gibt, der Gerüchten zufolge aber dennoch für alles Gute in unserer Gesellschaft verantwortlich ist.
Da kann ich es nur begrüßen, wenn „Ladenbesitzer“ tatsächlich mal LKWs und Arbeitskräfte anmieten um etwa den Müll zu beseitigen. Dann bemerken diese nämlich vielleicht, welcher Service ihnen sonst für einen Spottpreis zur Verfügung gestellt wird. Das nämlich ist noch so ein Ding, die Klage gerade des besagten, eigentlich gar nicht mehr vorhandenen Mittelstandes, dass er ja für alles immer so viel bezahlen müsse. Dafür profitiert er auch von dem System, welches er bezahlt. Eben durch Müllabfuhr und sonstige Infrastruktur, Ausbildungs- und Sozialsysteme. Das rechnet jedoch nie jemand ab. „Straßen sind ja da, die Schule läuft doch ob mein Kind hingeht oder nicht – Wieso soll ich dafür was bezahlen?“ Und wenn, laut PR-Kampagne, der Mittelstand der größte Arbeitgeber auch in Deutschland ist – wen soll man denn bitte sonst bestreiken?
zur Mafia: Ich sage nirgendwo, mafiöse Strukturen seien wünschenswert.
Ein Führer muss her, der das alles in die Hand nimmt. Schließlich brauch ich als Deutscher jemanden, der mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe. Und wer nicht pariert, wird erschossen!
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