Jeder kennt dieses Foto von Harald Ewert. Es zeigt ihn, bekleidet mit dem Weltmeistertrikot der Nationalmannschaft über eingenässter Jogginghose, beim Hitlergruß. Ewert behauptete Zeit seines Lebens von sich, er sei kein Nazi und den Fleck bereue er sehr.
Entstanden ist dieses Foto Ende August 1992 bei den Ausschreitungen von Rostock auf dem Höhepunkt der Asyldebatte und zum Auftakt einer ganzen Serie von fremdenfeindlichen Mordanschlägen in Deutschland. Vor dem „Sonnenblumenhaus“ in Lichtenhagen hatte sich eine johlende Menschenmenge aus Anwohnern und Zugereisten eingefunden, um die Polizei und Feuerwehr davon abzuhalten, ein mit über 100 Menschen besetztes Wohnheim zu beschützen. Unter dem Applaus der Umstehenden wurde es in Brand gesteckt. Es dauerte Stunden bis die eingeschlossenen Menschen aus dem brennenden Gebäude gerettet werden konnten. CDU-Ministerpräsident Bernd Seite sagte einige Tage später, die Politik müsse nun dringend handeln – nicht etwa um derlei Ausschreitungen in Zukunft energischer zu unterbinden, sondern „weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird“. Es folgte eine Änderung des Grundgesetzes und eine drastische Verschärfung des Asylrechts. Der johlende Mob hatte gesiegt. Man nahm die Sorgen der Brandstifter ernst. Das Wohnheim wurde aufgegeben.
Jeder kennt mittlerweile die entlarvenden Interviews mit PEgIdA-Demonstranten, die zwischen all den offen fremdenfeindlichen Parolen allerdings nicht müde werden zu betonen, sie seien keine Nazis. Bei ihnen handelt es sich weder um Jogginghosen- noch um Nadelstreifenträger. Sie skandieren: „Wir sind das Volk“, und erstaunlich viele Politiker sowie Medien- und Meinungsvertreter sind geneigt, ihnen zuzustimmen. Man dürfe diese Leute nicht pauschal verurteilen und müsse ihre Sorgen ernstnehmen, fordert beispielsweise Thomas de Maizière.
Ich muss mich schon fragen, wie ich jemanden ernstnehmen soll, dessen Sorge nach eigenen Angaben darin besteht, in 20 Jahren kein Weihnachten mehr feiern zu dürfen oder dann dazu in „die Moschee“ gehen zu müssen, weil „der Islam“ bald „Staatsreligion“ sei. Welchen Bezug zur Realität haben diese Leute eigentlich? Warum demonstrieren sie gerade dort gegen „Islamisierung“, wo es kaum Muslime gibt? Warum fordern sie die Ausweisung von Ausländern, wo es kaum Ausländer gibt? Warum fürchten Sie die Abschaffung von Weihnachten, wo doch ein Großteil von Ihnen konfessionslos ist?
Die Antworten auf diese Fragen kann man nur mutmaßen, denn obschon die Sympathisanten dieser Protestbewegung durchaus lautstark wirken, so sind sie doch alles andere als auskunftsfreudig. Die Medien gelten ihnen als manipulativ, der Politikbetrieb ist für sie eine einzige Verbrecherbande. Dementsprechend äußert sich auch ihr Protest, der keine ernsthafte Forderung formuliert und keine konkrete Änderung verlangt. Was erhoffen sich die PEgIdA-Anhänger eigentlich? Wohl nur, dass „es“ immer schlimmer wird, denn davon sind sie ja schon längst überzeugt.
Sie gerieren sich als diffamierte und unterdrückte Minderheit, die nichts anderes mehr tun könne, als ihre Wut auf die Straße zu bringen. Die Politik ignoriere sie und die Medien würden ihre Argumente nicht gelten lassen. Stimmt das? Ja, das stimmt, denn ihre Argumente sind hinreichend widerlegt: Zuwanderer bringen diesem Land mehr Geld ein, als sie es kosten. Ohne diese Zuwanderung würde Deutschland auf eine wirtschaftliche und demographische – kurz gesagt auf eine gesamtgesellschaftliche Katastrophe zusteuern und obschon das Land seit Jahrhunderten ein Zuwanderungsland ist, feiern wir noch immer Weihnachten und müssen dazu weder in die Moschee noch in die russisch-orthodoxe Kirche gehen.
Es sind nicht die Argumente von PEgIdA, die nicht wahrgenommen werden, es sind auch nicht die Sorgen der Sympathisanten, die nicht ernstgenommen werden. Es sind ihre Ressentiments, die von der Mehrheit der Gesellschaft nicht geteilt werden. Auf mehr als purem Ressentiment fußt diese Bewegung nicht. Von „besorgten Bürgern“ zu sprechen ist deshalb ein durchschaubarer Euphemismus, der entsprechenden Politikern nur dazu dient, die rechte Klientel in der eigenen Wählerschaft nicht vollends zu vergraulen. Zwar traten auch in den letzten Jahren immer wieder Politiker mit markigem Populismus auf („Wer betrügt, der fliegt“), doch diese offenkundig lächerlichen Positionen taugen mittlerweile nur noch für bayrische Bierzelte und sonstige Querulantenstammtische. Mehrheitsfähig sind diese Positionen, anders als in den 90ern, lange nicht mehr. Auch wenn Thilo Sarrazin mit seinen Büchern regen Absatz findet, so hat er doch nicht viel mehr als ein Parteiausschlussverfahren erreicht.
Die Mehrheit ist f ü r Zuwanderung, auch die schweigende. Und das ist wohl das eigentliche Phänomen, das den PEgIdA-Demonstranten Sorgen bereitet: Sie gehören zu einer aussterbenden Rasse, zu den wahrhaft „hässlichen Deutschen“, den rassistischen, fremdenfeindlichen, homophoben und chauvinistischen Ewiggestrigen. Ihre „Argumente“ werden eben deshalb nicht mehr berücksichtigt, weil es bloße Beleidigungen sind und zwar sowohl von einigen Volksgruppen als auch des menschlichen Intellekts an sich. Auf der Grundlage von Beleidigungen lässt sich keine politische Debatte führen. Es ist deshalb auch unmöglich, mit diesen Menschen ins Gespräch kommen zu wollen. Diese Leute wollen nicht debattieren. Sie wollen ihre beleidigenden Vorurteile wieder äußern dürfen, ohne dass ihnen widersprochen wird – aber man muss diesen Leuten widersprechen und man widerspricht ihnen. Eigentlich ist das eine Erfolgsgeschichte. Anders als in den 90ern, als Nazi-Skins im Namen der „schweigenden Mehrheit“, die sie zu vertreten glaubten, Wohnheime anzündeten, befinden sie sich nun ganz offensichtlich am rechten Rand der Gesellschaft. Es müssen nicht erst Wohnheime brennen, damit Rechte auf massiven Gegenwind stoßen. Sie sind nicht mehr salonfähig, sie sind nicht einmal mehr kneipenfähig. Und das ist auch gut so.
Es ist zwar immer noch so, dass etwa 20% der Bevölkerung fremdenfeindliche und teilweise sogar faschistische Positionen vertritt. Diesen relativ konstanten Anteil gab es, gibt es und wird es geben. Aber diese Gruppe hat massiv an Einfluss eingebüßt. Diese Gruppe prägt nicht mehr die Debatte und die Politik des Landes mit. Sie spielt im Grunde überhaupt keine Rolle mehr, außer vielleicht die des Schreckgespenstes. Dass aber ihre rechten „Argumente“ und Positionen widerlegt und unerwünscht sind, hat sie keinesfalls zum Umdenken gebracht. Im Gegenteil bringt es sie dazu, sich weiter zu radikalisieren. Da sie in der Politik (abseits der AfD) nicht mehr gehört werden, haben Sie sich von der Politik abgewandt. Da sie in den Medien (abseits der Bild) nicht mehr kommentarlos ihre Ressentiments äußern können, haben sie sich von den Medien verabschiedet. Eigene Internetforen und Facebookgruppen – also Gleichgesinnte – bieten ihnen die einzige Plattform, auf der sie sich noch äußern können. Dort kochen sie im eigenen Saft ihr weltverschwörerisches und deutschtümelndes Süppchen, das zwar zum echten Ladenhüter geworden ist, aber keinesfalls an Gefahrenpotential eingebüßt hat.
In Lichtenhagen, in Solingen, in Mölln waren es keine 15.000 Menschen, sondern zumeist nur einige hundert Radikale, die Wohnheime angezündet und Asylanten bei lebendigem Leib verbrannt haben. Solche Radikalisierung muss man verhindern. Man verhindert sie aber keinesfalls, indem man wieder auf die „Ausländer raus!“ Rufenden zugeht und Rücksicht auf ihre fremdenfeindlichen Gemütslagen nimmt. Eben das hat in den 90ern dazu geführt, dass sich kleine Gruppen von Nazis als Vorkämpfer der „schweigenden Mehrheit“ gesehen haben. Das waren sie nicht, das sind sie nicht. Aber sie haben ja Recht bekommen, denn was auf ihre Taten folgte, war Verständnis seitens der Politik und eine massive Einschränkung des Asylrechts.
Nach Lichtenhagen, Solingen und Mölln haben Politiker einige hundert Radikale als Vorwand genutzt, die politische Kultur in unserem Land weit nach rechts driften zu lassen. Auch jetzt werden wieder Stimmen laut, denen zufolge die Politik dieses Landes zu „links“ und selbst die CDU zu sehr in der „Mitte“ ist. Sie solle mehr rechte Positionen einnehmen, um solche Menschen wieder einzubinden. Was da gefordert wird, ist nichts anderes als die erneute Akzeptanz rechter Pöbeleien, fremdenfeindlicher Parolen und letztlich auch der rassistischen Gewalt, die immer daraus folgt. Dieses Manöver muss man durchschauen und verhindern. Und wer es unternimmt, der sollte sich schämen.
Harry G