Provokation (06.04.05)

Wer schreibt hat sonst nichts zu tun. Diese Erkenntnis kommt einem irgendwann zwischen Fernsehen, Däumchendrehen und dem Kochen von Kaffe, wenn schließlich der Gedanke auftaucht: Ich könnte mal wieder was schreiben. Worin liegt dieser Anreiz? Es ist wohl eine Mischung aus Sinnkrise, dem Drang nach Selbstverherrlichung und dem Bedürfnis, sich als intellektuelles Wesen von der grunzenden Masse lediglich konsumierender Normalos abzugrenzen. Sollte der Fragende sich 5 Minuten später nicht doch wieder in den Tiefen eines virtuellen Dungeons oder ähnlich finsteren Internet-Forum befinden, so bleibt ihm dennoch ein Problem, das Thema. Hier sind schon einige Autoren in den Wahnsinn abgeglitten, aus dessen Schlund Themen wie „Die Entwicklung der Infanterietaktik des hessischen Heeres vor dem Hintergrund der Erfahrungen des amerikanischen Unabhängigkeitskriege“ hervorquollen. Andere wollen sich erst gar nicht die Arbeit einer wirklichen Themensuche machen und schreiben so einfach und munter drauf los. Für diese Leute ist meist auch die Form und Art des Textes nebensächlich. Oft endet dies in Textfragmenten hochliterarischer Natur, welche nur der privilegierteste Teil der Leserschaft, sofern es eine solche überhaupt gibt, versteht.

„Schwarzer Quark!
Im Frost der Zeiten Ungemach –
Horch ich nach deiner Seele Grund,
Kost ich an deiner Taubheit Schmach,
Im Musenhain zur frohen Stund,
Bist du autark:
Nimmermehr.“

Ich mag diese Verse nur, wenn sie auch auf Nimmermehr enden. Für den angehenden Literaten jedenfalls, sind diese Stücke trotzdem ideales Machwerk. Er kann mit wenig Aufwand ein ausschweifungsvoll zu interpretierendes Gedankenknäuel erschaffen, welches dem Leser viele lange Vokale entlocken möge. Auch kann jeglicher Rechtschreibfehler, Holperstein der Interpunktion oder stilistischer Schmarren als Zeigefinger der Intention verkleistert werden. Der fortgeschrittene Literat verschreibt sich hier lieber den anspruchsvolleren Aufgaben. Er verfasst Kurzgeschichten, Aufsätze über sein Leben, artgerecht verpackt in einer kleinen Parabel, oder entwirft gar ganze Romane über einen coolen Helden namens Bud. Mit der Zeit gewöhnt er sich parallel verlaufende Handlungsstränge und unvorhersehbare Wendepunkte an. Irgendwann schafft er es vielleicht sogar, seine Storys zu spannenden Krimis werden zu lassen. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens ist er schließlich so weit, dass nach der spannenden Wende seiner zynischen und auch erotisch elektrisierenden Kriminalgeschichte nicht nur mehr alle Personen in einem anderen Licht erscheinen, sondern dem Leser auch noch eine unumstößliche Moral eingebläut wurde.

„und plötzlich wurde Greg klar: Sein ganzes Leben hatte er vertan, sein ganzes Sein war ein einziger Fehler. Alles wofür er gelebt hatte schien so bedeutungslos. Jetzt erkannte er die wahre Fratze seines Wesens. Alles, was er um der Liebe willen hätte geben können, wie Wasser, das einfach verschüttet wurde – für Drogen, Suff und Rubbellose“

Der professionelle Literat begibt sich niemals auf diese Pfade. Er hat sich Höherem verschrieben als die pure Unterhaltung seiner selbst oder des Lesers. Er fand ihn schon vor langer Zeit, den Stein der Weisen, und versucht nun seinen Jüngern, wie er sie nennt, einen Bruchteil von dessen Glanz mit auf den Lebensweg zu geben. Völlig frei von jeglicher Selbstdarstellung und ausschließlich die Vernunft als Richtschnur angelegt schreibt er abstruse Texte über den Zusammenhang zwischen Mensch und Maschine, zwischen Vernunft und Verderben, zwischen Sonne, Mond und Sternen.

„Oh Allheit letzter Schluss, lass mich dich erreichen – So sehr nun auch der Körper mir als Ganzheit mag erscheinen, es ist mit ihm doch wie mit einem Staat von Ameisen: Er wird von Einzelnen gebildet, des Ganzen ist sich nichts davon bewusst. Mosaiksteine sind sie, jedes Tier ist Teil des großen Kunstwerkes. Mögen sie für sich auch vollkommen unbedeutend erscheinen, so ist doch keines überflüssig. Und ist es mit der Menschheit nicht, ja mit dem ganzen Universum eben so dasselbe?
Ach, meine Seele, könntest du nur in mir sein, könntest du durch diese Augen blicken auf das, was du erschaffen hast: All den Glanz“

Für welchen Werdegang man sich nun entscheidet, letztlich irrelevant. Am Ende steht nur die Frage, wie viel Zeit man mit dem Erbrachten totschlagen kann und was man mit dem Geschriebenen anfangen möchte. Ich für meinen Teil bin schon zufrieden, wenn ich anderen Menschen mit diesem Text ein wenig ihrer Zeit stehlen kann, erhoffe ich mir doch, dass gleiches mit gleichem vergolten wird.

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