Frühling (gewidmet)

Mir sprießen wirre Reime,
Herzverwesungskeime,
ein Sichelmyrtensang.
Es grünt an meinen Haaren.
Mit dreiundzwanzig Jahren,
da fing das Sterben an.

Ich rauchte zuviel Benn,
und hab mich blau gesoffen,
mit Schillern lernt ich’s Hoffen,
mit Jünger schmiss ich’s hin.

Der Satzbau ist zerstört,
die Form ward mir zerschunden,
kein Vers der mir gehört. –
Wohl gar nicht meine Wunden,

Geschlagen von der Zeit,
Vom Weib und Eitelkeit.

Nun sprengt der Mai ins Haus.
Es wuchert drin und draus,
von frischen, roten Wangen,
ein Pflaumenmusverlangen,
treibt mir die Loden aus.

Komm, gehn wir in den Zoo!
Dort füttern wir Lemuren –
ich blick an deinen Kurven:
Vorbei,
vorbei.

Wie soll’s nun weitergehn?
Was ist mit mir geschehn?
Der Frühling kommt;-
/du gehst,
und lässt mich qualmend stehn.

Ist das nun mein Ende?
Oh weh.
Ja, ne.
Ich schweife durchs Gelände,
ich ringe meine Hände,
und falte neuen Schnee.

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4 Antworten zu Frühling (gewidmet)

  1. tropfkerze sagt:

    Bei einer Lebenszeit von 70 Jahren ist die Hälfte der subjektiven Lebensdauer mit 23 erreicht, las ich mal. In der Tat gibt es ab da nichts mehr zu lachen.
    Insofern bin ich subjektiv gesehen so gut wie klinisch tot.
    Soviel zum Trost.

    • gonzosoph sagt:

      Tja, statistisch gesehen ist der durchschnittliche Mensch – tot. Da kann man sich doch glücklich schätzen. An meinem 23. Geburtstag allerdings, habe ich mich in meiner Wohnung eingeschlossen, das Telefon entstöpselt, Internet abgeklemmt und den ganzen Tag laute, depressive Musik gehört („Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht“). Trotzdem hat niemand angeklopft. Heute nehm ich mich selbst nicht mehr so wichtig und vergesse meist einfach, dass ich Geburtstag habe. Das als Trost.

  2. tropfkerze sagt:

    Genau. Humor ist die einzige Möglichkeit, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der Trostlosigkeit zu ziehen.
    Was das Gedicht betrifft, so gefällt es mir sehr gut, soweit ich so etwas beurteilen kann (wenn auch die Reime manchmal etwas schräg sind).
    (Übrigens: Sind die „Lemuren“ ein dezenter Hinweis auf die lemures, die Geister – wie sie ja auch in Fausts Grablegung auftauchen?)

  3. gonzosoph sagt:

    „Wenn der gemeine Mensch diese Spanne Zeit so trübsinnig ernst und begehrlich nimmt, wussten jene, auf ihrem Wege zur Unsterblichkeit und zur monumentalen Historie, es zu einem olympischen Lachen oder mindestens zu einem erhabenen Hohne zu bringen; oft stiegen sie mit Ironie in ihr Grab – denn was war an ihnen zu begraben! Doch nur das, was sie als Schlacke, Unrath, Eitelkeit, Thierheit immer bedrückt hatte“ (Nietzsche, 2. unzeitgemäße Betrachtung)

    Soviel zum Humor als Waffe gegen den trostlosen Sumpf, bzw. die einzige Möglichkeit, dem „Wohnhaus grimmer Schmerzen“ (Gryphius) noch etwas abzugewinnen.
    Danke für das Lob, bei diesem Gedicht freut es mich wirklich sehr, wenn es nicht nur mir gefällt – denn das tut es diesmal doch sehr. Vor allem auch die „schiefen“ Reime, die meiner Meinung nach trotzdem klingen, weil sie eben nicht als (wie ich finde, abgenutzte) Reime klingen. Und ihre Schieflage passt wunderbar. Denn alles ist schief hier. Dabei glaube ich trotzdem, dass alles klingt. Habe es bei diesem Gedicht tatsächlich einmal geschafft, mich zu überwinden. Und genau diese beiden Dinge habe ich auch versucht auszudrücken: Dass man sich überwinden kann, dass man schief sein kann und trotzdem passen – ohne sich anzupassen. Alles mit einem Schuss verzweifelter Euphorie. Darüber hinaus bietet es quasi ein Kurzresümee meines Lebens und Schreibens. Ich denke, hoffe es gefällt auch der, der ich es gewidmet habe. Denn ohne Anregung würde man sich kaum einmal überwinden. Und vor allem nicht euphorisch werden.

    PS: Hätte ich fast vergessen. Ich liebe die Lemuren, schon das Wort und seinen Klang, vor allem angestoßen durch Gottfried Benn (wo wir bei den vorkommenden Referenzen sind), bei dem sie immer wieder auftauchen. Anschaulich das in diesem Zusammenhang vielleicht wichtigste Beispiel, dass auch in Richtung Grab verweist: Der Anfang von „Palau“

    ‚“Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
    und die Schatten sinken -“
    singe, auch aus den Kelchen der Frau
    läßt es sich trinken,
    Totenvögel schrein
    und die Totenuhren
    pochen, bald wird es sein
    Nacht und Lemuren.‘

    Es ist einerseits das doch sehr dämonische Geschöpf der Nacht, andererseits – das Tier als solches, welches bei mir ja immer wieder seine Rolle behauptet. Gerade hier deshalb Lemuren, sie passen zu den Herzverwesungskeimen, die mir sprießen und gefüttert werden wollen. Aber ich möchte meine Symbolik nun auch nicht zu weit auseinandernehmen. Sonst demontiere ich mich am Ende noch selbst…

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