Ist das überhaupt der Rede wert? Was lässt an Ranickis Kritik eigentlich aufhorchen? Nicht etwa, dass er das Fernsehen als schlecht, seine Macher als fantasielose Idioten und die Fernsehkritik als bloße Durchgangsphase für Feuilletonisten bezeichnet. Daran ist nichts neues, das sind längst akzeptierte Allgemeinplätze. Längst verdrängt und vergessen ist allerdings der Anspruch, dass Fernsehen etwas anderes sein könnte, als schlecht – auch im Abendprogramm der großen Sender. Deren Verantwortliche sind offenkundig der Meinung, dass Unterhaltung nur aus Voyeurismus und seichtesten Witzen über Fäkalien & Fortpflanzung bestehen könne.
Shakespeare war ein Unterhalter, hat für die Massen geschrieben und gilt trotzdem als größter Dramatiker der westlichen Kultur. Hält man ihn also für schwere Kost, die für das große Publikum von heute nicht mehr taugt, muss man sich doch nach den Gründen dafür fragen. Der heutige ZDF-Zuschauer muss nach Gottschalks Meinung entweder unkultivierter oder schlichtweg dümmer sein als der Pöbel des 16. Jh. – der brach in Begeisterung aus, gab man ihm „Was ihr wollt“. Sind wir heute dümmer? Anthropologen würden das bestreiten. Sind wir unkultivierter? Hatte Rousseau Recht und die Geschichte der Zivilisation ist eine Geschichte der entfremdenden Degeneration? Betrachtet man den erfolgreichen Humor, scheint er diese Theorie zu stützen. Hier ist Spaß fast immer ein Tabubruch. Shakespeare konnte da noch bei recht banalen Tabus ansetzen. Nur konsequent, dass diese Demontage das Niveau im Laufe der Zeit immer schneller, immer weiter herabsenkt, weshalb man mittlerweile bei den basalsten Geboten angelangt ist, sich buchstäblich im Dreck suhlt und dabei Tiergenitalien verspeist. Über so etwas lacht man und über Menschen, die bereit sind sich für das Fernsehen selbst zu verstümmeln.
Teilt man aber diese pessimistische Kulturphilosophie, muss man an der Berechtigung von Unterhaltung überhaupt zweifeln. Wieso Kurzweil unterstützen, wenn die Gesellschaft dabei immer weiter verroht? Lässt sich das nachfeierabendliche Glück der werktätigen Massen tatsächlich nur durch den Ausverkauf menschlicher Kultur und ihrer Werte erreichen?
Die Verantwortlichen sind davon offenkundig überzeugt. Auf den Vorwurf der Niveaulosigkeit reagieren sie allesamt mit dem Fingerzeig auf andere, die angeblich noch tiefer im Dreck wühlen. So erscheinen als Bewahrer der Kultur schon diejenigen, die sparsamer sind mit ihrer Unterminierung. Niveauvolle Unterhaltung, so das gebetsmühlenartige Credo, sei dagegen eine unvorstellbare und undurchführbare Phantasterei. Letzteres ist zuzugeben: Phantasie bedarf es, Unterhaltung nicht allein durch Tabubrüche zu erreichen. Ob das allerdings undurchführbar bleibt, ist fraglich. Die Attraktivität niveauvoller Unterhaltung würde schon dadurch gesichert, dass sie im Fernsehprogramm unserer Tage ein Kuriosum wäre, eine absolute Seltenheit. Und kuriose Seltenheiten haben noch immer die Massen angezogen.
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