Bahnhof

Disteln wuchern zwischen aufgesprengtem Asphalt, verrostetes Eisen daneben und darunter Balken, mit Bolzen an die Erde geschlagen. Augen liegen verschlafen darauf und tasten sich vor zur perforierten Schalterscheibe. Dies ist der Bahnhof – erbaut von Menschen für Maschinen. Nur ein paar hölzerne Bänke haben sie sich gegönnt, fest in die Mauern geschraubt.
Bölke steht an der Begrenzung, die mit Neon beschienen wird wie alles hier. 18 Stunden am Tag fahren die Züge, 8 pro Stunde auf 6 Gleisen. Selbst die Fahrgastzahl bleibt gleich, versteht sich von selbst. Sonst könnte man auch den Schaffner fragen. Menschenmüde schrägt er neben den stehenden Waggons. Für ihn bedeutet dieser Ort nur etwa 20 Minuten seines Tages. Ein Name wie all die anderen. Auswendig weiß er sie zu sagen: Lünen, Borghausen, Esch.
Nichtssagende Punkte auf Linien, die das Land zergliedern. Bölke sieht auf den Plan, der öffentlich aushängt. Einer dieser Züge nennt sich Metronom. „Passend“. Doch dann tut jemand einen Seufzer. Ein Clown – große Schuhe, Blume am Revers und Schminke unter den Augen. Er setzt seine Mütze ab und fährt sich durch die krausen Haare. Eine Reise tun. Nur weg von hier. Von diesem Ort wie all die anderen; monoton und schlecht bestückt mit immer gleichen Plastikbeschilderbäumen. Zeitschriftenregale dort. Bier gibts überall.
Es zischt und hält sich an. Blutet Menschen in die Masse, die am Bahnsteig steht. Doch bleibt für kurz ein Stück von Ziel und weit, weit weg. Bölke steigt ein. Er sieht in jedes Eck und öffnet jedes Fach. Dann nimmt er leere Dosen aus dem Müll. Behutsam legt er sie in seine große Tasche. Es bleibt ihm nicht viel Zeit an einem kleinen Bahnhof so wie diesem. Es ist erst Dienstag und die Woche tief.
Längst zu spät, macht jeder nur, was ihm zu tun gegeben ist. Und hieß es auch, man nimmt sich einen Strick zum Hals. Doch sehr daran gewöhnt ist man, zu leben. Deshalb kommt alles, wie es kommen muss.
Glasflaschen bringen nichts, die sind das Tragen kaum nur wert und Bölke dafür sich zu schade. Sonst eigentlich ein guter Job, manchmal findet man auch Sachen andrer Art im Polsterspalt, ganz hinten im Waggon. Die Menschen sind hier recht vergesslich und ihre Hast dem Orte angemessen.
Ein Zug kommt nie zu früh, braucht stets zu lang. Weshalb dient er so oft als schmutzige Metapher? Bölke lacht über sich selbst. Ja schlau zu sein, intelligent, kann sich nur wünschen, wer selbst dumm ist. Dumm zu sein kann sich nur wünschen, wer selbst dumm ist. Und so hat jeder jederzeit sein Unglück in der Hand.
Der Zug fährt an. Bölke vergeht das Grinsen. Zu langsam – selbst für das hier ist er es und lachen kann schon wieder nur der Schaffner: „Teures Hobby ham‘ se da.“ Er hat wohl Recht.

Dieser Beitrag wurde unter Experimentelle Metaphorik, in aller Kuerze, Postpeotik abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.