„Diese Größe will nicht verändern und wirken, diese Größe will sein. Immer beanstandet von der Stupidität des Rationalismus, immer bestätigt von den Genien der Menschheit selbst.“ (Gottfried Benn, „Können Dichter die Welt verändern“)
Eine utopische Idee ist ein Projekt, das im strengen Sinne noch nicht wirklich ist. Da wir uns in unserem Denken heute vor allem an der Wirklichkeit zu orientieren hoffen, haftet ihr deshalb von vornherein ein Makel an. Die utopische Idee widerspricht unserer wichtigsten Maxime, nämlich den Tatsachen. Damit erscheint sie uns praktisch nutzlos. Genau darin liegt ihre Stärke.
Eine neue Utopie kann, sie darf keine Handlungsanweisung mehr geben. Unsere Gesellschaft absorbiert sämtliche Tätigkeit und wandelt sie in einen wertschöpfenden Prozess um. Durch buchstäbliche Vermarktung degenerieren selbst alle Protestformen und vermeintlich alternative Lebensentwürfe zu bloßen Stilelementen. Sie werden kanalisiert (arte), banalisiert (rtl) und kommerzialisiert (mtv). Die erhofften Alternativen, die beabsichtigten Proteste, sie alle werden zu einer Sparte dessen, wogegen sie sich ursprünglich richteten. Der Veganer ist der Lebensmittelindustrie sogar ein besserer Kunde, er gibt mehr für seine Produkte aus, da sie eine stärkere industrielle Verarbeitung erfordern und den Wertschöpfungsprozess somit steigern. Auch Sozialrebellen kaufen teure T-Shirts von kleinen Händen hergestellt.
Auf diesem Wege befördert letztlich jeder Versuch, der Gesellschaft neues Leben einzuhauchen, die Verwertungskette jener Maschinerie. Alles wird verarbeitet, wie gehabt und der vermeintliche Saboteur ist in Wahrheit nichts als ein lieber Kollege. Jeder ist werktätig – man kann gar nicht anders. Deshalb soll es etwas geben, das nicht Werk ist. Eine neue Utopie darf also nicht den Anspruch haben, im strengen Sinne verwirklicht zu werden. Sie kann nur als Utopie funktionieren: Sie muss unverwirklicht bleiben. Ohne sie können wir nur funktionieren: Dort, wo selbst Freundschaft über das social networking zum Marketinginstrument geworden ist, muss sie auch privat bleiben.
Das einzig verbliebene Private jedoch ist eben jenes, was vor allen Taten und jeder strengen Wirklichkeit liegt: Das Denken. Die neue und wohl letztmögliche Utopie muss also eine Utopie des bloßen Denkens sein.
Gonzosophie, Philosophie in diesem Sinne, ist deshalb eine Kunst des Denkens – nicht bloß Artistik und auch nicht Ästhetik. Der Gedanke als Kunstform definiert sich dadurch, nicht zum Gebrauch gedacht zu sein. Er muss gelöst sein von der Vorstellung des Nutzens, aufgelöst im bloßen Gedankenspiel – ein Spiel mit heiligem Ernst und Hang zur Freiheit. Diese Denkfigur versucht nutzloses, wertfreies Denken zu kultivieren und letztlich zu einer Geisteshaltung zu werden, in der sich vielleicht sogar Schönheit entfalten kann. Wo sie nicht ist, wird sie eben erschaffen, als Kunstwerk.
Es kommt dabei gar nicht darauf an, diese Schönheit zu erreichen oder das Denken in irgendeiner Form zu manifestieren. Der Gedanke selbst ist das Urkunstwerk und der Gedankenkünstler bleibt taten- und wortlos. Man muss sich den Gonzosophen als einen faulen Menschen vorstellen. Was jedoch nicht heißen soll, dass diese Kunstform ohne Folgen bleibt. Schafft dieses auch keine genuinen Handlungen, bleibt das Denken doch deren Ursprung im Individuum, wo auch das Gedankenspiel seine Folgen zeitigt. Natürlich drückt sich nur im Handeln eigentliche Freiheit aus. Denken jedoch ist reine Handlung.
Probieren Sie es aus. Trauen Sie sich, einmal nutzlos zu denken. Die Wahrheit ist nutzlos, anders als Wissen. Um Wissen kann es deshalb nicht gehen, jedoch in Wahrheit um Wahrheit, die vielleicht in der herkömmlichen Kunst, sicher jedoch im eigenen Denken er-lebt werden kann. Werden Sie dadurch verrückt? Womöglich. Die Mittelhaftigkeit und Zweckmäßigkeit Ihres Denkens wird jedenfalls akut gefährdet. Doch vielleicht sind Sie ja mutig genug, sich der Gefahr des freien Denkens zu stellen?
„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Das trifft auch auf Handlungen zu. Insofern – geschenkt!
Seine Gedanken in die Welt zu blasen ist die erste Tat. Ein Weg, den ich ab sofort auch gehen werde.
Der Ausdruck – die Verdinglichung der Gedanken – ist der Feind des reinen Denkens!
Natürlich kann man nicht kommunizieren: Als Solipsist. Natürlich kann man denken und schreiben. Beides setzt einander jedoch nicht voraus – leider. Nachträglich: Ich wünsche in jedem Fall viel Erfolg beim Start in die Zwischenwelt!