Sie glauben doch nicht wirklich, dass das hier ein Happy End hat, oder? Also, das alles hier – jetzt mal im Ernst. Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber zumindest da sind wir uns doch einig. Halten Sie mich ansonsten ruhig für einen Querulanten, das mag stellenweise stimmen, aber ich bitte Sie! Ein Blick genügt, bis in die Fußgängerzone müssen Sie gar nicht gehen, um auf dutzende Gründe für den verdienten Untergang der Menschheit als Spezies einerseits wie andererseits für die ganz individuelle Misere des Menschen an und für sich zu stoßen. Haben Sie die mal beobachtet, ihre Mitmenschen? Aber ich rege mich schon wieder auf. Dabei hatte ich mir doch vorgenommen, das nicht weiter ernst zu nehmen, ruhig zu bleiben, die S.U.V.s vorm Biosupermarkt einfach mal Autos sein zu lassen, die leeren Ränge in den Sinfoniekonzerten oder die mit dem Wort „banal“ noch einfühlsam beschriebenen Gespräche im Foyer nicht weiter zu beachten. Nein, ich kann sie ja verstehen und auch ihre verzweifelten Bemühungen, das Perpeto-Mobile eines sinnvollen Lebens zu erschaffen – mit möglichst wenig Aufwand, versteht sich. So sind wir halt, auch wir Querulanten. Und ansonsten hätte ich sicher gar keinen Grund, Sie weiter zu langweilen. Obschon…einen Grund abseits meines nörgelnden Pessimismus hätte ich da schon. Letzte Woche ist mir nämlich etwas passiert.
Etwas passiert, das einen wunderbaren Stoff für eine Novelle abgeben würde, hätte ich das Schreiben nicht längst an den Nagel gegeben. Mit dem Schreiben ist es nämlich in etwa so, wie mit dem Leben: Es kommt einem selbst vielleicht manchmal besonders großartig und, ja sogar einzigartig vor, im Grunde ist es aber immer gewöhnlich, unbedeutend und langfristig sinnlos. Egal wie weit man damit kommen mag. Bestenfalls setzt man stilistische Akzente, Nuancen, der Rest bleibt gleich. Die Themen: Liebe, Geld, Eifersucht und Leid. Übrigens: Ich bin mit all dem nie sehr weit gekommen, mit den Gefühlen, wie mit dem Schreiben, deshalb habe ich wohl beides aufgegeben.
Aber wo war ich stehengeblieben? Achja, die Begebenheit. Dazu muss ich vielleicht vorher etwas weiter ausholen und erst einmal aus meinem sonstigen Leben berichten. Wie soll eine Begebenheit schließlich die Faszination des Besonderen entwickeln, wenn sie nicht in einem gewöhnlichen Kontext steht. Alles braucht ein wenig Unterfütterung, ein paar Namen und eine Handlung, die auf einen Punkt hinausläuft. Sonst wäre es ein schlechter Witz. Gute Witze haben nämlich immer eine Handlung, oder zumindest einen Zielpunkt – Pointe eben. Mein Leben ist mehr oder minder ein schlechter Witz, das macht die Geschichte ja so interessant.
Kennen Sie übrigens den Witz über das ontologische Dilemma der göttlichen Komödie? Er lautet etwa wie folgt: Was ist der lustige Aspekt Gottes? Es gibt keinen. Aber ich fange schon wieder zu jammern an. Das hat man mir schon oft vorgehalten. Kaum fange ich an von mir zu erzählen, klinge ich wie die Figur des Leibeigenen aus einem russischen Romane des 19. Jahrhunderts. Ich weiß ja nicht genau, wie belesen Sie sind, aber vielleicht kennen sie diese Wälzer. Nicht nur, dass die unaussprechlichen Namen der Protagonisten alle zum verwechseln ähnlich klingen und jeder von Ihnen gleich drei davon (samt deren Verniedlichungsformen) und darüber hinaus diverse, offensichtlich auch als Pronomen taugende Titel trägt. Selbst die Erzählungen plätschern meist so lange, so langsam und so langatmig vor sich hin, bis man gar nicht mehr weiß, worum es eigentlich ging. Das ist übrigens immer auch ein Problem meiner Erzählungen gewesen. Sie ahnen vielleicht, worauf ich hinaus will. Kaum hat man einen Antihelden und seine Schicksalsprobe konstruiert, gerade schildert man seinen inneren Konflikt, und plötzlich verliert man sich völlig in unwichtigen Details, beschreibt etwa über lange Schachtelsätze, Schachtelabsätze, ja sogar -seiten hinweg, wie das Haus aussieht, in dem der grobschlächt- und sittige Vater seiner Liebsten wohnt. Also eigentlich meiner Liebsten, ich bin da nicht immer frei von autobiographischen Bezügen und das obschon ich Germanistik studiert habe. Am Ende von derlei Schilderungen hat man jedenfalls längst vergessen, worum es ging. Sie haben es, ich habe es. Nur mit dem Unterschied, dass dieser Rekurs auf meine Liebste mich immer gleich depressiv macht und mit letzter Tinte vor einem erschlaffenden Papier zurücklässt, auf das ich nicht einmal mehr klecksen möchte.
Man sieht schon: Der Text taugt allenfalls noch für ein Sampling. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Die Geschichte, um die es hier gehen soll, dreht sich nämlich nur ganz am Rande um meine Liebste. Dieser Begriff mag Ihnen übrigens etwas antiquiert vorkommen. Ich bin mit ihm jedenfalls immer gut gefahren, was Frauen angeht. Obwohl diese doch oft recht anspruchslos sind, was Kosenamen angeht, wenn man sich nur die allzu gängigen verkneift. In den genannten russischen Romanen sprechen sich die Menschen übrigens ständig mit „Mütterchen“ und „Väterchen“ an. Wenn das auch keine gängigen Kosenamen mehr sind, so sind sie doch mit die Schlimmsten, die ich mir vorstellen kann. Das mag mitunter auch an meiner Abneigung gegenüber Kindern liegen. Diese sollte man übrigens besser nicht in aller Öffentlichkeit kund tun. Verrät man einer Partygesellschaft etwa, dass man pädophob ist, versteht mindestens die Hälfte dieses Fremdwort falsch und der Abend kann ein sehr unrühmliches Ende nehmen. Glauben Sie mir.