Der Mörder

Novel fürchtete um sein Leben. Das war so willkürlich, so unverständlich – als wüte eine blinde Gewalt. Diese Frau lag mit durchschnittener Kehle vor seinen Füßen. Das Blut quoll langsam bis an seine Sohlen. Er hielt sich die Hand vor den Mund um atmen zu können. Es roch nach Asche und Metall.

Dieses Mal würden Sie ihn bekommen. Dieses Mal hatte er Fehler gemacht, war gestört worden und musste hastig fliehen. Er hatte nicht mehr aufräumen können und so sammelte man in diesem Moment alle Spuren, die ihn an den Strick bringen würden. Natürlich waren es bloß Indizien, aber ihn zu fassen war nur noch eine Frage der Zeit. Das beruhigte Novel.

Viel zu lange war er ihm nun schon auf den Fersen und hatte dabei stets im Dunkeln getappt. Keine Spuren, keine Hinweise, ja nicht einmal Verbindungen zwischen den Morden hatte es gegeben. Bis auf die Kaltblütigkeit, die Wahllosigkeit und die perfide Perfektion. Männer, Frauen, alte und junge mit durchschnittenen Kehlen. Nicht beraubt und nicht geschändet –  gemeuchelt ganz ohne jede Emotion. Man hatte an Auftragsmorde gedacht, doch wer konnte ein Interesse an diesen Tragödien haben?

Ein Psychopath – doch was war seine Psychose? Keine Leidenschaft war zu erkennen in diesen Taten und keinerlei Nutzen. Nur die kalte, skrupellose Hand eines Mörders, der sein Handwerk verstand. Sind Luftröhre und Halsschlagader mit einem tiefen Schnitt durchtrennt, tritt die endgültige Bewusstlosigkeit innerhalb von Sekunden ein. Es fließt viel Blut, aber der Tatort blieb ohne Anzeichen von Gegenwehr, außer vielleicht ein Papier, das zu Boden gefallen war oder ein Krug, den man umgestoßen hatte. Sämtlich belanglos.

Novel schritt das Zimmer ab. Hier musste Er gestanden haben, hier war Es geschehen. Wenn man nicht auf den Boden sah, hatte der Raum etwas sehr aufgeräumtes. Die Erinnerungen eines Lebens feinsäuberlich zur Ansicht drapiert. Dort ein aufgeschlagenes Buch, ein Roman. Für so viel Blut schien hier gar kein Platz. Auf dem Schreibtisch lagen noch einige Papiere, säuberlich gestapelt, und ein offener Füller. Novel hatte genug gesehen.

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Er hielt die Notiz in den Händen und las sie noch einmal mit unvermindertem Zweifel. Das konnte nicht die Wahrheit sein. Aber ebenso wenig konnte er es einfach ignorieren. Er musste sich sicher sein.

Der Mörder wartete schon auf ihn. In einem Eckseparee abseits des Einganges saß er und zuckerte seinen Kaffee. Novel musterte den Raum. Der Wirt stand gelangweilt hinter seinem Tresen und putzte die Zapfhähne. Novel orderte einen Kaffee, deutete dem Wirt auf den Tisch, an dem der Mörder saß und ihn ansah.

Novel setzte sich. Sie sahen einander an.

>Warum haben Sie mich hierher eingeladen?

<Warum sind Sie gekommen?

>Nun diese Einladung konnte ich kaum ausschlagen: „… stellen Sie den Mörder, bevor er selbst es tut.“ Ich hatte jedoch nicht gedacht, dass Sie wirklich hier sein würden. Ich hielt es eher für einen dummen Witz.

<Nun ich mache für gewöhnlich keine Witze. Ich bin hier um sie zu sehen, um zu erfahren, ob Sie es wert sind.

>Ob ich es wert bin?

Novel blickte kalt, der Mörder trank einen Schluck.

<Dass man sich Ihnen ausliefert. Sie werden doch verstehen, dass ich es wissen muss, bevor ich mich Ihnen offenbare. Die Konsequenzen brauche ich nicht zu nennen.

>Sie werden gar keine andere Wahl haben, falls Sie der sind, der Sie vorgeben zu sein. Man durchsucht in diesem Moment Ihre Wohnung, befragt Ihre Bekannten, Ihre Freunde. Es gibt kein Entkommen für Sie.

<Ein Entkommen gab es nie, das liegt in der Natur meiner Taten. Und doch sind Sie sich zu sicher. Sie unterschätzen mich, denn Sie sehen mich für etwas an, dass ich nicht bin.

>Nun, Sie sind ein Mörder. Mehr muss ich nicht wissen.

<Ein Mörder. Als wenn Sie überhaupt wüssten, was das heißt: Mord.

Der Mörder legte Emphase in dieses Wort. Seine Züge hellten sich auf. Novell saß steif vor ihm.

>Nun ich weiß, was es für Sie heißt: Tod durch den Strick. Den bekommt ein Mörder um seinen Hals gelegt und dann geht es hinab. Und einen Mörder nennt man, wer Frauen und Männern die Hälse abschneidet.

Novell machte eine eindeutige Handbewegung.

<Die Hälse abschneidet …

Der Mörder lachte.

>Wollen Sie es leugnen?

<Ich leugne es nicht. Ich leugne Nichts. Deshalb bin ich doch überhaupt hier. Aber Sie verstehen es offensichtlich nicht.

>Was gibt es denn da schon groß zu verstehen?

<Ach Novell, ich muss leider sagen, Sie sind eine Enttäuschung. Sie sind nicht gekommen um mir zu begegnen, sondern nur um mich zu sehen. Denn Sie glauben ja doch schon alles zu wissen. Keine einzige Frage haben sie mir gestellt, außer der, warum ich Sie überhaupt treffen wollte.

Der Mörder zuckerte noch einmal nach und rührte lustlos in seinem Kaffee.

>Sie wollen Fragen? Also gut, wenn Sie wirklich der Mörder sind, erzählen Sie mir, wie Sie es getan haben.

<Ach, das ist so einfach. Sie kennen es doch, haben es gesehen. Das Leben hängt an einem Faden, nicht an einem Draht. Es ist so leicht zu schneiden, viel zu leicht, als dass man sich dagegen wehren kann. Lassen wir das Protokoll beiseite. Dafür ist später Zeit. Als Sie hereinkamen wussten Sie doch gleich, dass ich es bin. Ich respektiere ihren Verstand zu sehr, um Ihnen noch einmal vorzukauen, was Sie doch längst schon wissen.

>Aber wieso haben Sie es getan? Warum morden Sie?

<Warum leben Sie, Novel? Ich habe es getan, ganz einfach weil man etwas tun muss, das ist doch ganz natürlich. Die Menschen nennen mich nun einen Mörder und spucken aus sobald die Rede auf mich kommt, so als verabscheuten sie meine Taten. Dabei gibt es kein Leben unter ihnen, das nicht vom Blut der anderen zehrt. Wo etwas sein will, da muss etwas vergehen. Das ist Gesetz, des Marktes und auch der Natur. Nur dass der Makler sich nie überfrisst – am Rand bemerkt.

Der Mörder lachte und nahm einen großen Schluck.

>Eine abgedroschene Philosophie, die sie da bemühen

<Was ist denn heute nicht mehr abgedroschen. Aber sie haben natürlich Recht, das alles sind bloß Vorwände. Die Wahrheit ist: Nichts ist ewig außer der Vernichtung. Und keine Vernichtung ist größer als die des Menschen, denn mit einem Menschen stirbt die ganze Welt. Gibt es überhaupt so etwas wie die Ewigkeit, dann ist diese Ewigkeit der Mord.
Seitdem ich denke, denke ich an Tod, Novel. Ich glaube da sind wir uns nicht unähnlich.

>Das glaube ich kaum.

<Ich umso mehr. Dieser Tod, er fasziniert uns nicht, es ist die nackte Angst, die unser Handeln an ihn bindet. Nennen Sie es eine Therapie, ja Desensibiliserung. Wir beide nähern uns dem Tod und nähren uns von ihm. Jeder nur auf seine Weise.

>Ich werde Sie aber nicht umbringen, sondern vor ein Gericht stellen. Der Tod geht nur den Henker etwas an. Und Sie werden aufhören mir Ihrer „Natur“ und Ihrer Ewigkeit. Aufhören zu sein.

<Warum stellen Sie sich mir entgegen, Novel. Recht und Gesetz… Glauben Sie tatsächlich, dass es Ihnen besser geht, bin ich einmal gefasst? Der Mord sei dann gebändigt, denken Sie – wie lächerlich. Wenn überhaupt bin ich es, der ihn bändigt und dem Sterben eine ruhige Bahn verleiht. Sie kennen meine Taten und Sie wissen, dass kein Wahn in ihnen liegt.

>Nein, das weiß ich nicht. Im Gegenteil! Wahlloses Morden, Männer und Frauen, alt und jung. Was, glauben sie, gibt Ihnen Recht dazu? … – Nein, hören Sie mir auf. Wenn es nicht Wahnsinn ist, dann ist es noch viel schlimmer.

<Es ist der Tod. Wer bin ich, diesem eine Ordnung aufzuzwingen.

>Und dieser Tod sind Sie?

<Nein, aber nahe bin ich ihm. So nah man ihm nur sein kann. Und seitdem kenn ich keine Furcht. Anders als Sie.

>Anders als Ihre Opfer – wehrlos und hinterhältig abgeschlachtet. Was ist denn das für eine Erhabenheit, die auf heimtückischem Mord beruht?

<Also wäre es edler gewesen, die Menschen brutal zu überfallen und ihnen den Schädel einzuschlagen? Man ist nun einmal Mensch und da nicht ohne Mitgefühl. Kein unnötiges Leiden muss in Kauf genommen werden.

>Kein unnötiges Leiden, das ich nicht lache. Wo war denn die Not, 12 Menschen einfach umzubringen?

<Novel, Sie haben es noch immer nicht verstanden: Der Mord gehört zum Menschen wesentlich dazu – nur er ist fähig Seinesgleichen zu ermorden. Ein Tier kann niemals morden, nur töten weil es muss. Der Mord dagegen, er ist das Privileg des Humanen und so lange es den Menschen gibt, so lange mordet er. Die Strafe und die Ächtung dieses urmenschlichen Zuges ist dagegen erst eine Erfindung unserer Politik. Das haben wir vergessen und verdrängt, so dass wir heut selbst dann nicht morden, wenn es nur allzu menschlich wäre. Wir lassen Unseresgleichen lieber siechen, ja elend leiden bis zum Schluss – und nennen das Respekt. Doch es ist nichts als Feigheit. Sklavische Verehrung eines Lebens, das ohne Tod auskommen will und Furcht und Leid dafür in Kauf nimmt. Der Mord ist eine Freiheit, die wir uns selbst genommen haben ohne jeden Vorteil. Ich will uns diese Freiheit wiedergeben wo ich kann. Da ist noch viel zu tun.

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Novel hielt das Messer ins Licht. Die Schneide wirkte durch die entstandenen Kerben und Sprünge spröde. Blut war in den Ritzen eingetrocknet. Trotz all dieser Spuren blitzte die Klinge unter dem grellen Licht.

Er wog das Messer in seinen Händen, änderte seinen Griff. So musste er es gehalten haben. Sein Blick fiel auf den Spiegel, fand sich darin. Er legte die Waffe zurück in die Lade und schloss ab.

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Dispositionskredit

Im nächsten Jahr im Januar
Da kommt das Weltenend
Und kommt es erst im Februar
Es kommt. Es kömmt. Es kömmt!

Zu Anbeginn, der Mayamann,
Der hat es prophezeit
Seit Jahren spar ich Schulden an.
Es kömmt! Ich bin bereit.

[Mein Rat also dem Lebemann: Es lohnt sich nicht zu stehlen. Anständiger ist der Kredit, den man vom Knauserich bezieht – das möchte ich empfehlen. So bettel um das schnöde Geld, es soll doch nicht verkommen! Wenn mit der Welt Geldwert zerfällt, bleibt es sich unbenommen. So nimm es gern und gib’s noch gerner. Egal ob’s Weltend nah, ob’s ferner.]

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Ganz da

Frauen sind schwer nur zu begreifen, weil sie Menschen sind und manchmal wunderschön. Ein Blick, tief aber ganz von außen. Ein Halt, der eng am Körper liegt und nicht nur dort. Ich denke oft an dich, so wie einmal an Frauen ward gedacht. Noch öfter so, wie man sie heute denkt: Klug und nackt. Und völlig ohne Scheu. -Du gehst den Weg, allein und ich bin mit dabei. Du bist. Und ich bin mit dir frei. Ja, wenn du und ich so manchmal fast schon wir sind, dann ist das Leben da. Und ganz.

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Am Ende

Wenn das Ende kommt, wirst du nicht damit rechnen. Es überrascht, muss überraschen. Was zu Ende geht, weiß nichts davon, selbst wenn es lange schon damit gerechnet hat. Enden ist unbewusst.
Mir war jedenfalls klar, dass es passieren würde, nur nicht wann. Als ich die Zeitung heut Mittag aufschlug, wusste ich Bescheid. Das ist es. Ich sagte alles ab, hinterließ eine Nachricht, die letzte, und loggte mich aus. Ich fuhr zum Bahnhof, hob unterwegs so viel Geld ab, wie mir möglich war. Erstaunlicherweise schien ich der Einzige zu sein, dem diese Idee gekommen war. Die Straßen waren voll, die Banken leer. In der Stadt bot sich ein seltsames Bild: Alles war wie gewohnt. Die Busse fuhren, die Restaurants waren geöffnet, wurden besucht und die Besucher bedient. Ich musste schon etwas lächeln, denn ich würde sie vermissen, die Gesellschaft. Eigentlich war es mir hier ja sehr gut gegangen. Sogar einen Bauchansatz habe ich mir erarbeitet. Was nützt es aber, Vergangenem nachzutrauern?
Ich setzte meinen Weg fort und ging an all den Menschen vorbei, die sich ganz wie gewohnt durch die Fußgängerzone bewegten – den Blick schweifen lassend, aber nach Möglichkeit jeden Augenkontakt mit den Pennern vermeidend. Taschen in den Händen, Handys in den Taschen, manche mit Kaffee, andere ohne. Jeder wie er wollte. Eine Zeitung las hier niemand.
Am Bahnhof angekommen, bot sich mir ein anderes Bild. Nicht nur ich allein hatte die Sachlage verstanden, auch andere wollten weg. Lange Warteschlangen vor den Automaten, der Dittsch war völlig leergekauft und im Reiseinformationszentrum kein Fußbreit Platz. Es glich einer Belagerung. Zum Glück hatte ich kein Gepäck dabei, wozu auch? So konnte ich mir jedenfalls leichter den Weg durch die Menge bahnen. Ich kaufte mir kein Ticket. Würde ich heute nicht schwarzfahren, käme ich wohl nie mehr dazu. Es war ja auch nicht so, als gäbe es Konsequenzen zu fürchten. Der Zug war zwar voll, aber nicht so voll, wie man es erwartet hätte. Wahrscheinlich standen die meisten Reisenden einfach ratlos vor den Bahnomaten, unsicher, wohin ihre wohl letzte Fahrt sie nun bringen sollte. Das würde auch die langen Schlangen, den aber durchaus noch gesitteten Umgang miteinander erklärt haben. Panik sah anders aus, diese Flucht war eine zutiefst melancholische. Man wollte weg, wusste aber eigentlich gar nicht, wohin. Welches Ziel sollte einen auch retten, die Lösung oder auch nur Linderung sein?
Darauf wusste auch ich keine Antwort. Stattdessen betrachtete ich die Frau vor mir, stellte mir vor, wie es sein müsste, ihre Brustwarzen zwischen meinen Fingerspitzen hin und her zu rollen, auch andere Stellen ihres Körpers auf deren Haptik hin zu untersuchen. Sie lächelte mich freundlich an und ich ließ meinen Blick aus dem Fenster fallen. Regrets – I had a few. Wir sind noch gar nicht heraus aus der Stadt. Es ziehen Bürokomplexe und Industrieruinen an uns vorbei. Aus manchen Schornsteinen quillt noch schwarzer Rauch. Angerußte Backsteinbauten, Schienen in den Straßen und Menschen, die sie überqueren. Hier ist es wie am Anfang. Hier funktioniert es noch. Ich denke an das viele Geld, das ich bei mir trage. Warum habe ich es überhaupt mitgenommen? Glücklicherweise gibt es heutzutage selbst in fahrenden Zügen Kaffeeautomaten. Ich weiß, ich werde Kaffee trinken.

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Das war sein Leben.

Es bleibt zu hoffen, dass er nun mit ganzen Herden wilder Möpse durch die ewigen Jagdgründe streifen darf.

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