Adephagia

Da ist etwas geschehen und man ruft nach dir, weist dir zu, wohin du gehen sollst. Es ist gut, gebraucht zu werden, da zu sein, wo man dankbar dafür ist. Es ist gut, nachts müde zu sein, Atem zu spüren oder ihn nicht zu spüren und einfach zu schlafen, einzuschlafen, weil man mit dem Tag zuende ist, egal, wie die Dinge liegen. Sie bleiben liegen und es ist Ruh.
Was waren das für Tage abseits der Tätigkeit, abseits der Ermüdung und dafür mitten im Licht, im grellen Flimmern der Neonröhren bis tief in die Nacht, mit den Fingern im Gesicht, dort kratzend, dort quetschend, Augen reibend, die Falz der Stirn nachfühlend, heiß am Kopf, Blut in den Falten, elektrisches Summen, Gedanken, noch und nöcher rankend zwischen den Zweifeln, heiß im Bett liegen und sich seiner eigenen Hitze nicht erwehren können, hier im Schweiß, rings umher die rasende Stille, donnert um das Bett und treibt den Atem, dort und überall und ohne Ende: Ich.
Doch das war. Das ist nicht mehr, denn da ist etwas geschehen. Irgendwo, du hast gar nicht damit gerechnet, aus einem Grund, der dir nicht einleuchtet, aber das ist egal, denn das Fragen hast du abgelegt, das Zögern und mit dem Geschehen hast du dich ereignet. Du bist und das was du warst, ist passiert. Vorbei und abgelegt. Du stehst aufrecht.
Da liegt etwas vor dir, abseits und konturlos zwar, doch ganz deutlich wird, dass es da ist, für dich, ganz für dich allein. Du könntest nun gleich hingehen, es aufheben und in Händen halten, es spüren und es dich spüren lassen, es annehmen und werden; wachsen. Du könntest, nichts hindert dich daran. Nichts stört.
Doch nichts passiert. Du bist hier, bleibst hier. Bist immer hier gewesen. Nur du. Du isst nichts, trinkst nichts, tagelang liegst du nur da und wartest, gekrümmt und zugedeckt, wartest darauf, dass er kommt, dass du ihn spürst, wie er ganz langsam heraufkriecht, ansteigt, aus deinen Innereien schwillt, bis er zuletzt auch in die Fingerspitzen dringt, dieser Hunger, dieser wütende, brennende Hunger, der dich allmählich durchzittert und du glaubst, schwitzen zu müssen, aber das ist nur der Durst, der Hunger, der reine Körper, der sich irgendwann Bahn bricht und ganz du wird, alles vertreibt, was nicht Körper ist und nicht hungrig, dein Sein verdaut und du frisst, schlingst zügellos alles in dich hinein, ohne zu wählen, ohne zu zögern, bis du vollgestopft bist, triefend satt, und sich nichts mehr regt in dir, du nichts mehr fühlst, nicht einmal Hunger, nichtmal den Körper. Nur Müdigkeit, alte Knochen und einen Schwindel, dich im Fall einhüllend wie eine Decke, wie ein Wort, das keine Adjektive braucht. – Die Leere umfängt dich, hält dich, bettet dich sanft in deine tauben Glieder und löscht das Licht. – Dann ist Schlaf, endlich, echter Schlaf. Schwer, bleiern. Heimat fast. – Und es ist gut.

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Verse, manchmal blank

Die Finger tasten Worte in den Schweiß.
Auf deinem Rücken ritzen Fingerspitzen
verwehte Linien über nasse Haut.

Zuletzt wird von der Zunge noch entdeckt,
dass dort, ganz nah am losen Körpereck,
Salz tief, ja süß wie Honig schmeckt.

Alles ab hier ist Rhythmik, pur,
fernab zerpflückter Denkstruktur
realiter Ruptur.

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Occupy Power

Es ist Herbst, laut Berliner Polizei deutscher Herbst mitunter, und wie auch schon im letzten Jahr durchziehen Großdemonstrationen das Land. Doch diesmal ist es nicht die Lokalpolitik bezüglich eines umstrittenen Bahnhofs, der als Auslöser die Menschen auf die Straße treibt – es ist das schlichtweg Unkonkrete, das Unlokale.

Das heißt nicht, dass es nicht auch diesmal Auslöser gegeben hätte, doch gab es nicht den Auslöser. Vielmehr ist es wohl Folge einer langen Entwicklung, der steten Umverteilung, die zu einer überraschend konkreten Ungerechtigkeit geführt hat. Man muss sich ja nur einmal die Kennzahlen ansehen: Das oberste Prozent der Gesellschaft besaß im Jahr 2007 23% des Gesamtvermögens, die obersten 10% gar 61,1 % davon. Man kann beileibe nicht davon ausgehen, dass sich an diesem Trend etwas geändert hat. Es ist deutsch geworden in Kaltland.

Sind Sie Besserverdiener?

Wenn Sie sich fragen sollten, was das konkret bedeutet, überlegen Sie mal, ob Sie überhaupt zu den oberen 50% gehören – also zu der besserverdienenden Hälfte der Gesamtgesellschaft. Wenn nicht, haben Sie schlicht kein Vermögen. Denn die Nahrungskette stellt sich so dar, dass die unteren 50 % (sprich rund 40 Millionen Menschen in Deutschland) zusammen gerade mal 0,4 % des Gesamtvermögens besitzen. Die unteren 10% haben sogar ein negatives Vermögen – die bad bank der Gesellschaft. Übrigens: Der Maxime der Leistungsgerechtigkeit folgend, müsste das heißen, dass die Hälfte der Bevölkerung schlicht nie produktiv ist und war.

Hier offenbart sich aber auch die Lösung: Demokratie. In einem Land, in welchem die Mehrheit der Gesellschaft nicht einmal 1 % des Vermögens besitzt, sollten sich doch demokratische Wege finden lassen, an diesem Missstand etwas zu ändern. Und das ist wohl der einzige gemeinsame Nenner, der die Occupy-Bewegungen hierzulande verbindet. Man hat wohl selten ein verworreneres Interview gesehen, als das des Occupy-Frankfurt Pressesprechers heute im Wochenspiegel.

Empathisches Geld? Scheues Kapital…

Er habe im Grunde gar nicht Pressesprecher sein wollen, er wolle keine konkreten Positionen oder Ziele angeben, man könne einzig vielleicht sagen, dass man ein „empathischeres“ Geldsystem wolle, dass Geld ja nur ein Austauschmittel sei, welches man durch andere Austauschmittel ersetzen könne. Die O-Töne der Demonstranten gingen von: „Der Kapitalismus zeigt sein wahres Gesicht“, bis hin zum schlichten: „Die da oben sind allesamt Räuber und Verbrecher.“

Es ist keine Ideologie, es ist angesichts von wiederholter Bankenrettung und dabei sinkenden Reallöhnen das unterbewusste Gefühl der Ungerechtigkeit, das sich hier Bahn bricht. Unverständnis über die unüberschaubaren Zustände, die offensichtlichen Ungerechtigkeiten und die wachsende Unsicherheit. Jede Menge „un-„s, die in Empörung umschlagen.

Occupy … und danach?

Man kann den Demonstranten in der ganzen Welt nun natürlich vorwerfen, sie hätten kein konkretes Programm, keine greifbaren Verbesserungsvorschläge oder irgendeinen Plan. Gerade der deutsche Otto-Normalverbraucher ist schnell bei der Hand mit dem lapidaren Spruch „Ersma bessermachen!“ Was sich hier aber langsam artikuliert, ist das Gefühl, das alles besser ist, wenn es nur anders ist. Der Wunsch nach Veränderung, nach „Change“ im eigentlichen Sinne, wächst und ist auch in Amerika durch den ehemaligen Hoffnungs- und sogar Friedensnobelpreisträger Obama beileibe nicht erfüllt worden. Im Gegenteil.

Nun wachsen die Demonstrationszüge an, friedlich zumeist, aber spätestens dann, wenn wie in Rom Hunderttausende unterwegs sind, kommt es zu Gewalt. Das ist traurig aber anders kaum vorstellbar. Nicht allein deshalb, weil Sie kaum eine Menge von 100.000 Menschen zusammen bekommen werden, in der kein Gewaltpotential stecken würde. Vor allem sind es bei solchen Massen keine Demonstrationen mehr, es sind Aufstände. Und wenn es nun vermehrt solche gibt, noch dazu weltweit, bergen Sie tatsächlich das Potential, etwas zu verändern.

We shall not be moved … until now!

Was nämlich der größte Schutzschirm der Banken und ihrer anhänglichen Profiteure ist und war: Deren Machenschaften fraglos hinzunehmen. Resigniert mitanzuschauen, wie die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, als wäre dies ein Naturgesetz. Marktgesetz eben, dass es zu nutzen, nicht zu hinterfragen galt. Die nun beschworenen 99% haben ihre Macht freiwillig an Institutionen abgegeben, im Glauben, zumindest ein kleines Stück vom Kuchen abzubekommen. Es bleiben jedoch kaum mehr Krümel, wobei der Kuchen doch immer größer wird.

Das Ende dieser Zeit scheint angebrochen, wenn die Straßen nicht mehr freizuverhaften sind, das Trillerpfeifen und Schreien immer lauter wird. Dann bekommt Angst, gegen wen sich solch beeindruckender Widerwille regt. Diese Angst, es einfach zu weit getrieben zu haben, könnte Motivation zur Aussöhnung sein. Das müsste heißen, Macht und Reichtum neu zu verteilen. Fairer zu verteilen. Das würde heißen, dass Macht wieder von denen ausgeübt wird, denen wir sie eigentlich zuschreiben: Den Menschen, allen Menschen.

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Funeralplanung

So manchem wird nicht entgangen sein, dass meine Gedanken zuletzt wieder einmal um recht morbide Themen kreisten. Ich komme aber so langsam in ein Alter, das eine gewisse Beschäftigung mit derlei Themen unvermeidbar macht. So ertappe ich mich beispielsweise bei der Frage, ob man eigentlich zu jeder Beerdigung einer Frau gehen müsste, nur weil man mit dieser geschlafen hat. Im Knigge findet sich dazu nichts und ich wüsste auch nicht, unter welchem Keyword ich da bei wikipedia nachschlagen soll.

Wie hat man sich das vorzustellen? Gibt es da einen speziellen Tisch während der Trauerfeier, der nur für die „Lochschwager“ reserviert ist? Dort trinkt man einen letzten Schnaps auf die Verblichene, klopft sich gegenseitig auf die Schulter, dem einen mehr, dem andern weniger. Manchem raunt es erstaunt entgegen: Du auch hier? Das wären sicher nicht nur angenehme Pietätsdienste.

Sollte sich übrigens solch ein Tisch auch auf meiner Beerdigung finden, wäre er wohl recht klein. Ob unter den Damen große Gespräche entstünden, weiß ich nicht, und darüber möchte ich ehrlich gesagt auch nicht weiter nachdenken. Da befasse ich mich lieber weiter mit morbiden Themen. Wussten Sie etwa, dass sich das Leichengift Cadaverin, welches seinen Namen der vermehrten Entstehung während der Autolyse verdankt, auch in der Samenflüssigkeit vorkommt?

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Kommt

Kommt sterben wir zusammen
Wer stirbt ist endlich tot
Es stocken doch die Herzen
Schon sehr in ihrer Not

Kommt töten wir das Fühlen
Das Denken an den Tod
Kommt töten wir zusammen
Was stirbt ist endlich tot

Allein bleibst du im Leben
Geschwätzig wie du bist
Wie soll dir widerstreben
Was Trost und Balsam ist?

Kein Zögern und kein Hadern
&kein Wort tut mehr Not
Kommt öffnet eure Adern
Wer stirbt ist endlich tot

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