Es ist Herbst, laut Berliner Polizei deutscher Herbst mitunter, und wie auch schon im letzten Jahr durchziehen Großdemonstrationen das Land. Doch diesmal ist es nicht die Lokalpolitik bezüglich eines umstrittenen Bahnhofs, der als Auslöser die Menschen auf die Straße treibt – es ist das schlichtweg Unkonkrete, das Unlokale.
Das heißt nicht, dass es nicht auch diesmal Auslöser gegeben hätte, doch gab es nicht den Auslöser. Vielmehr ist es wohl Folge einer langen Entwicklung, der steten Umverteilung, die zu einer überraschend konkreten Ungerechtigkeit geführt hat. Man muss sich ja nur einmal die Kennzahlen ansehen: Das oberste Prozent der Gesellschaft besaß im Jahr 2007 23% des Gesamtvermögens, die obersten 10% gar 61,1 % davon. Man kann beileibe nicht davon ausgehen, dass sich an diesem Trend etwas geändert hat. Es ist deutsch geworden in Kaltland.
Sind Sie Besserverdiener?
Wenn Sie sich fragen sollten, was das konkret bedeutet, überlegen Sie mal, ob Sie überhaupt zu den oberen 50% gehören – also zu der besserverdienenden Hälfte der Gesamtgesellschaft. Wenn nicht, haben Sie schlicht kein Vermögen. Denn die Nahrungskette stellt sich so dar, dass die unteren 50 % (sprich rund 40 Millionen Menschen in Deutschland) zusammen gerade mal 0,4 % des Gesamtvermögens besitzen. Die unteren 10% haben sogar ein negatives Vermögen – die bad bank der Gesellschaft. Übrigens: Der Maxime der Leistungsgerechtigkeit folgend, müsste das heißen, dass die Hälfte der Bevölkerung schlicht nie produktiv ist und war.
Hier offenbart sich aber auch die Lösung: Demokratie. In einem Land, in welchem die Mehrheit der Gesellschaft nicht einmal 1 % des Vermögens besitzt, sollten sich doch demokratische Wege finden lassen, an diesem Missstand etwas zu ändern. Und das ist wohl der einzige gemeinsame Nenner, der die Occupy-Bewegungen hierzulande verbindet. Man hat wohl selten ein verworreneres Interview gesehen, als das des Occupy-Frankfurt Pressesprechers heute im Wochenspiegel.
Empathisches Geld? Scheues Kapital…
Er habe im Grunde gar nicht Pressesprecher sein wollen, er wolle keine konkreten Positionen oder Ziele angeben, man könne einzig vielleicht sagen, dass man ein „empathischeres“ Geldsystem wolle, dass Geld ja nur ein Austauschmittel sei, welches man durch andere Austauschmittel ersetzen könne. Die O-Töne der Demonstranten gingen von: „Der Kapitalismus zeigt sein wahres Gesicht“, bis hin zum schlichten: „Die da oben sind allesamt Räuber und Verbrecher.“
Es ist keine Ideologie, es ist angesichts von wiederholter Bankenrettung und dabei sinkenden Reallöhnen das unterbewusste Gefühl der Ungerechtigkeit, das sich hier Bahn bricht. Unverständnis über die unüberschaubaren Zustände, die offensichtlichen Ungerechtigkeiten und die wachsende Unsicherheit. Jede Menge „un-„s, die in Empörung umschlagen.
Occupy … und danach?
Man kann den Demonstranten in der ganzen Welt nun natürlich vorwerfen, sie hätten kein konkretes Programm, keine greifbaren Verbesserungsvorschläge oder irgendeinen Plan. Gerade der deutsche Otto-Normalverbraucher ist schnell bei der Hand mit dem lapidaren Spruch „Ersma bessermachen!“ Was sich hier aber langsam artikuliert, ist das Gefühl, das alles besser ist, wenn es nur anders ist. Der Wunsch nach Veränderung, nach „Change“ im eigentlichen Sinne, wächst und ist auch in Amerika durch den ehemaligen Hoffnungs- und sogar Friedensnobelpreisträger Obama beileibe nicht erfüllt worden. Im Gegenteil.
Nun wachsen die Demonstrationszüge an, friedlich zumeist, aber spätestens dann, wenn wie in Rom Hunderttausende unterwegs sind, kommt es zu Gewalt. Das ist traurig aber anders kaum vorstellbar. Nicht allein deshalb, weil Sie kaum eine Menge von 100.000 Menschen zusammen bekommen werden, in der kein Gewaltpotential stecken würde. Vor allem sind es bei solchen Massen keine Demonstrationen mehr, es sind Aufstände. Und wenn es nun vermehrt solche gibt, noch dazu weltweit, bergen Sie tatsächlich das Potential, etwas zu verändern.
We shall not be moved … until now!
Was nämlich der größte Schutzschirm der Banken und ihrer anhänglichen Profiteure ist und war: Deren Machenschaften fraglos hinzunehmen. Resigniert mitanzuschauen, wie die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, als wäre dies ein Naturgesetz. Marktgesetz eben, dass es zu nutzen, nicht zu hinterfragen galt. Die nun beschworenen 99% haben ihre Macht freiwillig an Institutionen abgegeben, im Glauben, zumindest ein kleines Stück vom Kuchen abzubekommen. Es bleiben jedoch kaum mehr Krümel, wobei der Kuchen doch immer größer wird.
Das Ende dieser Zeit scheint angebrochen, wenn die Straßen nicht mehr freizuverhaften sind, das Trillerpfeifen und Schreien immer lauter wird. Dann bekommt Angst, gegen wen sich solch beeindruckender Widerwille regt. Diese Angst, es einfach zu weit getrieben zu haben, könnte Motivation zur Aussöhnung sein. Das müsste heißen, Macht und Reichtum neu zu verteilen. Fairer zu verteilen. Das würde heißen, dass Macht wieder von denen ausgeübt wird, denen wir sie eigentlich zuschreiben: Den Menschen, allen Menschen.