Networking unter Bierzeltbedingungen

Der Reportage zweiter Teil

Schon zum dritten Mal innerhalb eines Jahres in einer VIP-Lounge zu sitzen, diesmal noch dazu mit tatsächlich bekannteren Menschen, das stimmt einen schon nachdenklich. Und es widerspricht eindeutig meinem degenerativen Modell der Biographiefunktion (f(B)=0-t²). Zählbares ist jedenfalls auch diesmal nicht dabei heraus gesprungen, außer natürlich dem gratis Kugelschreiber, mit welchem ich diese Notizen hier verfasst habe und zumindest für das leibliche Wohl wurde in ausreichendem Maße gesorgt.

Wie ist sie also gelaufen, meine Podiumsdiskussion? Vom Wirkungsgrad her nicht besonders, stehen doch 14 Stunden Anreise nur etwa 5 Minuten Redezeit und vielleicht 4 Fragen gegenüber. Diese waren auch noch derart trivial, dass es meiner Person sicher nicht bedurft hätte, sie zu beantworten („Wie wäre das für Sie als Autor, wenn jemand von Ihnen abschriebe?“). Der Moderator, seines Zeichens Jurist, entschuldigte sich hinterher bei mir dafür, aber er habe nun einmal „von Blogs keine Ahnung.“ Ich nehme es ihm auch nicht übel, schließlich war ich in einer Diskussion mit derart juristischer Einfärbung etwas deplatziert. Das jedoch hat mich angesichts der vorherigen Themenumschreiben schon etwas gewundert. Schwamm drüber. Aus der hauseigenen Berichterstattung geht meine quasi Abwesenheit jedenfalls nicht hervor. Ich betrachte das Ganze einfach als gratis Rechtsberatung und interessant war es ja trotz alledem.

Bezahlte Kunst

Nur manchmal musste ich meinen Unmut etwas unterdrücken, wenn in Hinsicht auf Vertreter der Musikindustrie („Künstler“) von einer schrumpfenden und in diesem Sinne nicht mehr angemessenen Bezahlung gesprochen wurde, gegen welche sie sich zu wehren hätten. Bei über einer Million „Aufstocker“, deren Ganztagsarbeit in diesem Land nicht einmal für das Überschreiten der Armutsgrenze ausreicht, finde ich in diesem Kontext die Rede von „angemessener Bezahlung“ doch etwas schwierig – heute würde man wohl sagen: unerträglich.

Ich selbst habe schon Texte als Auftragsarbeit für weniger als einen Cent (in Zahlen: 0.008 €) pro Wort verfasst. Rechnen Sie einmal nach, wie viele Worte sie da in einer Stunde erdenken, aufschreiben und korrigieren müssen, um nur in die Nähe irgendeines Mindestlohnes zu kommen. Als Vertreter der brotlosen Künste ist man jedenfalls der Hochschule Mittweida sehr dankbar für die warmen Mahlzeiten und das kostenlose Doppelzimmer mit Panoramablick samt Halbpension in einem namhaften Hotel. Welchen Namen es trug, kann ich Ihnen übrigens an dieser Stelle nicht mitteilen. Mein Erstaunen über die großzügigen Finanzspritzen für das Medienforum Mittweida durch diverse Sponsoren hat sich nämlich etwas gelegt, seitdem ich mich selbst dabei ertappt habe, gleich im ersten Teil meines Berichts mit entsprechenden Firmennamen aufzutrumpfen. Ich gelobe Besserung und unterlasse im Weiteren solch Produktplatzierung.

Die üppige Ausstattung und professionelle Organisation des Medienforums Mittweida soll dennoch Erwähnung finden. „Luxus“ wäre eine Untertreibung, wo man heutzutage angesichts der Hartz4 Sätze bereits von römischer Dekadenz redet. Selbst Ich hatte eine „persönliche Ansprechpartnerin“, die mich in genannten Karossen herum chauffieren ließ und sich in meinem Terminplaner besser auskannte, als ich selbst. Sie tat mir manchmal etwas Leid, denn als Studentin durfte sie an den wirklich interessanten Veranstaltungen, wie etwa der Bierzeltgaudi, höchstens zapfend und wuchtend im Dirndl teilnehmen. Aber ich werde schon wieder viel zu sozial.

Gonzosoph auf Abwegen

Dieses Gutmenschentum kann ich sogleich anders akzentuieren und zwar mit folgendem Verweis: Den anwesenden Cherno Jobatey, mit dem ich kurz über Florian Silbereisen sprach und der hinterher die besagte bavarische Folklore moderierte (ein Kapitel für sich – bayrisches Bier und sorbische Volksmusik samt sächsischer Küche, anmoderiert von C.J. – melting-pot Mittweida), hielt ich die ganze Zeit für Mola Adebisi. Das müssen Sie entschuldigen, ich stamme aus der Provinz und deshalb besteht für mich zwischen verschiedenen anders pigmentierten Menschen leider Gottes wohl immer noch Verwechslungsgefahr. Mein unterirdisches Namensgedächtnis tut sein Übriges dazu. Herr Jobatey füllte jedenfalls seine Rolle als Sympathieträger recht gut aus, auch wenn ich ihn vorher durch seinen Auftritt in „Zimmer frei“ eher in schlechterer Erinnerung gehabt hatte. Interessant zu beobachten war auch die Rotte angehender Medienmenschen, die ihn noch bis zum Buffet zu verfolgen schien.

Gonzosoph im Aufwind

Da sind wir auch schon mitten in der ureigenlichsten Materie, weshalb so ein Kongress veranstaltet und besucht wird: Networking. Es geht ja nicht darum, was man sagt oder hört, sondern wen man trifft und bestenfalls sein Kärtchen zustecken kann. Ich hatte sowas schon geahnt, jedoch war ich in diesem Ausmaß nicht darauf vorbereitet. Ich habe ja nicht einmal ein Kärtchen. Was sollte darauf auch stehen? Wobei, mittlerweile verzichten Cracks dank Webpräsenzen doch sowieso auf derlei Printmedien. Ungeachtet solcher Widrigkeiten habe ich dennoch den ein oder anderen interessanten Menschen getroffen und durchaus fruchtbare Unterhaltung geführt. Explizit erwähnt sei Simone Janson (Networking!), deren Tipps zur Selbstvermarktung mich hoffentlich aus diesem Tal der Trübsal – genannt Unbekanntheit – herausführen und meinen Blog in nie geahnte Trafficsphären führen mögen. Angeblich ließe sich dann sogar Geld damit verdienen. Ja, keine „dshins“, sondern wirkliches Geld für das man einkaufen gehen kann!
Meine Tipps für das Networking sind übrigens ganz einfach:

1. So tun als ob man Erfolg hat.
2. Andere daran teilhaben lassen.

Ganz in diesem Sinne habe ich mein Namensschildchen („Referent: Friedhelm Robben – Autor“) lässig in der Sakkotasche getragen, denn wer so bekannt ist wie ich, setzt auf klassisches Understatement. Zumindest der abendliche Fahrdienst gab an mich zu kennen. Auf meine ungläubige Nachfrage hin teilte er mir mit, alle Mitarbeiter seien im Vorfeld zu jedem einzelnen Referenten „gebrieft“ worden – auch zu mir. Da wäre ich unglaublich gerne dabei gewesen.

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„Besser als erwartet“, mal wieder.

Respekt, Herr Bundespräsident, zollt Ihnen seit gestern die gesamte Presselandschaft. Sogar die Süddeutsche lobt, Sie seien „ein Präsident, der mit schlechter Rhetorik Gutes sagt.“ Nunja, ein waschechtes Lob sähe anders aus und es mag auch etwas befremdlich wirken, dass Sie nunmehr von denselben konservativen Kreisen dafür gefeiert werden, dem türkischen Staat ein christliches Element zu unterstellen, die Sie vor ein paar Tagen angesichts ähnlicher „Behauptungen“ bezüglich des Islams in Deutschland noch für wahnsinnig erklärt hatten. Dabei sind die Christen in der Türkei eine [leider im wahrsten Sinne des Wortes] verschwindend kleine Minderheit, während Muslime hierzulande [glücklicherweise im wahrsten Sinne des Wortes] Wahlen mitentscheiden. Der Eindruck entsteht, man freut sich allenthalben darüber, dass Sie es endlich auch dem Türken so richtig gezeigt und den Stellenwert des Christentums ins rechte Licht gerückt hätten. Christentum ist laut CSU nämlich nicht gleichwertig mit dem Islam, sondern schlicht besser – das habe der Muslim einzusehen, wo immer man ihn finde. Diese Leute haben leider sehr viel nicht verstanden, Sie mit eingeschlossen. Dabei kann gerade das nun wirklich nicht so schwer sein. Aber es beruhigt, dass man mit so wenig Brisanz so viel Eindruck schinden kann. Dann hat vielleicht auch die Merkel künftig wieder eine Chance in der eigens für die CDU eingeführte Kategorie: „Wer war besser als erwartet?“

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„Ich bin Urheber“ – Journalismus frei von Allem.

Unlängst schrieb ich etwas zum Urheberrecht und wurde infolgedessen auf einen sehr reißerischen Artikel innerhalb des Onlineangebots der Zeit aufmerksam gemacht, deren Abonnent ich seit einiger Zeit bin. Dieser Artikel weiß von der schieren Sintflut von Urheberrechtsklagen gegenüber einfachen und einfachsten Menschen zu berichten, in denen es angeblich um schwindelerregende Beträge geht, deren vollstände Zahlung man selbst mit den ausgefeiltesten juristischen Mitteln nicht zu vermeiden im Stande sei.
Was mich an diesem Artikel jedoch aufregte, waren weniger die beschriebenen und natürlich völlig unverhältnismäßigen Aktionen der letzten Bewahrer der Menschen- und Urheberrechte (auch GVU genannt und mit eigenen Problemen behaftet), sondern das völlige Fehlen von Belegen, Zahlen, Statistiken – kurz gesagt jedweder Zutaten eines seriösen Journalismus.

Man weiß es nicht, aber man munkelt schon…

Stattdessen stützt man sich hier auf so wunderbar suggestive und kaum widerlegbare Aussagen wie:

„Für die Wolters dürfte es kaum ein Trost sein, doch: Sie sind nicht allein. Viele Kollegen und Freunde haben ihr seitdem von ähnlichen Vorfällen berichtet.“ (zeit.de)

Dem kritischen Leser dürfte das Hörensagen einer Familie als einziger Beleg doch recht ungenügend erscheinen und er mag von einem gut recherchierten Artikel erwarten, dass man der Sache weiter auf den Grund gehen möge und folglich mit hintergründigen Informationen aufwartet. Auf diese wartet man vergebens. Stattdessen überrascht uns Sidney Gennies, der Autor, mit der Erkenntnis:

„Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Familien durch die Netzausflüge ihrer Kinder in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten sind.“ (zeit.de)

Es existieren also angeblich keine Zahlen bezüglich des Umfanges von Klagen, obschon die gesetzlichen Grundlagen und die juristische Praxis der Abmahnungen kaum erst seit gestern bestehen und laut Artikel jede halbwegs normale Familie in Deutschland dazu eine Geschichte zu erzählen hat. Doch natürlich, aber nicht wie viele dadurch in „ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten“ geraten sind. Eine solch vage Formulierung lässt sich in Statistiken auch kaum erheben. Will man also ganz im Sinne einiger im Artikel namentlich auftauchender Interessenvertreter eine gezielte Drohkulisse aufbauen, dann stützt man sich statt auf die Fakten lieber auf den Sinnspruch: „Man weiß es nicht, aber man munkelt schon…“ Zwar weiß man es entgegen eigenem Bekunden tatsächlich besser, aber das Munkeln passt einem doch so schön in den Kram.

Meinungsjournalismus? Pfui!

Nun stelle ich mir in meiner Funktion als Blogger mittlerweile verstärkt die Frage, wieso man uns immer vorwirft, im besten Falle Meinungsjournalismus zu betreiben (unlängst auf einer betreffenden Veranstaltung des Medienforums Mittweida so erlebt). Folgt man den klassischen Kriterien von Wahrheit und Meinung – da können sie Platon oder Aristoteles fragen – kommt dieser Artikel über letztere kaum hinaus. Angesichts der eindeutigen Richtung des Artikels bin ich mir nicht einmal sicher, ob der Autor hier überhaupt klassischen Journalismus betreibt, oder seine Motivation ganz anderer Quelle (etwa der GVU) entspringt. Gerade kleinere Zeitungen werden ja nicht müde, von der angeblichen Schwemme schlimmster Raubkopierstrafzahlungen zu berichten. Selbst wenn mir von solchen Fällen noch keiner selbst im weitesten Bekanntenkreis zu Ohren gekommen ist.
Ach übrigens, sollten sie diesen Artikel für einen Einzelfall halten und mich für jemanden, der sich mal wieder grundlos über eine Lappalie aufregt, dann sei noch auf folgenden Artikel in der Welt verwiesen, der über angebliche Integrationsprobleme von Migrationskindern an deutschen Schulen berichtet. Angebliche? Wir wissen doch alle, dass es so ist. Richtig? Richtig! und deswegen macht sich auch dieser Artikel an keiner Stelle die Mühe, seine „Enthüllungen“ irgendwie zu belegen. Schließlich passen die getätigten Aussagen in unser aller Bild von Wirklichkeit so gut herein, dass wir sie eigentlich nicht einmal zu lesen bräuchten. Dann können wir es aber auch gleich lassen. Journalismus sollte doch eigentlich dazu da sein, unsere Wahrnehmung und die zugrunde liegenden Fakten zu überprüfen und zwar dahingehend, ob sie deckungsgleich sind. Das wäre Journalismus als Korrektiv – alles anderes ist Hof- bzw. Doofberichterstattung. Sie wollen ein Paradebeispiel?

„Es gibt andere Pädagogen, die leiten das aggressive Verhalten aus einem „politischen Extremismus“ ab, der nicht nur Deutsche, sondern alle Nichtmuslime treffe.“ (welt.de)

Bei solch einer Aussage bin ich für meinen Logikkurs dankbar. Wieviele Pädagogen braucht es, die der angeführten Aussage prinzipiell zustimmen würden, damit der Satz wahr wird? 1. Klingt schon einmal aussagekräftig. Da dieser mindestens Eine aber unter den Millionen Pädagogen weltweit sicherlich unglaublich schwer zu finden wäre, hat man sich auch gar nicht die Mühe gemacht, ihn für ein namentliches Zitat zu finden. So kann ich meine Argumente auch belegen: Es gibt Polizisten, die das Verhalten von Ausländern aus ihren Genen herleiten. Versuchen Sie einmal, diese Aussage zu widerlegen. Ist dadurch jedoch die vermeintliche Aussage wahr?

Journalisten fordern Gelassenheit beim Umgang mit Quellen

Selbige Redefigur wird in besagtem Artikel trotzdem munter weiter bemüht:

„Auch Polizisten berichten über eine deutlich zunehmende Deutschenfeindlichkeit vor allem unter türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen.“ (welt.de)

Wo tun sie das? Was sagen sie genau? Alles nebensächlich; Hauptsache man kann so tun, als sei die Aussage belegt. Nochmal: Ich will gar nicht behaupten, dass die Aussage nicht wahr sei. Nur wenn sie wahr ist, warum werden keine wirklichen Quellen angeführt, sondern lediglich völlig vage Existenzaussagen á la: „Es gibt irgendjemanden, der sagt…“ Das Lustigste ist dabei die augenscheinlichste Quelle, die uns der Artikel bietet. Es ist eine Statistik – ja, tatsächlich noch so etwas wie ein Verweis auf Fakten! Was zeigt die Statistik? „Ausländer in Deutschland – Deutsche im Ausland“, sie soll belegen, dass hier in Deutschland hauptsächlich Migranten aus der Türkei leben. Doch wozu? Was hat das mit der Schulgewalt zu tun?
Egal. Ich muss vor solch brillanter Berichterstattung kapitulieren. Machen Sie sich ihr eigenes Bild. Es ist ja nicht so, als bliebe Ihnen eine andere Möglichkeit.

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Einbruch! (2)

Das sogenannte Arbeitszimmer war eine einzige Katastrophe. Zinkmann hatte die Tür kaum öffnen können, da auf dem Boden lauter Zeug herum lag. In der Mitte des Raumes kreuzte ein Bücherregal, das sich irgendwie aus seiner Verankerung gerissen hatte, die Sichtlinie in Richtung Schreibtisch. Der Inhalt des Regals befand sich darunter, ein ganzer Haufen Bücher, Mappen und loser Blätter. Irgendwoher kam ein Rascheln. Zinkmann stemmte die Tür weiter auf und bahnte sich seinen Weg unter dem Regal hindurch. Der Schreibtisch war im Grunde völlig aufgeräumt, nur ein Stück abgerissener Tapete lag darauf und die Schubladen waren allesamt herausgezogen. Hinter dem Schreibtisch kauerte Prof. Dr. Dr. Polkmann mit einer der Schubladen auf dem Schoß, in der er aufgeregt kramte. „Zinkmann! Sie kommen abermals zu spät.“ Der Professor holte einen großen Beutel hervor, in dem sich ein ziemlich kleines Stück Grün befand. Dies stopfte er in eine grobe Pfeife, welche er sogleich mit einer Lötlampe anzündete. „Nein, im Grunde bin ich zu früh. Es ist ja auch nicht so, dass…“ „…dass sie mit ihrer Zeit irgendetwas besseres anzufangen hätten. Ja, da mögen sie Recht haben. Jedenfalls gehen sie gleich mal zum Hausmeister und sagen ihm, dass hier offensichtlich eingebrochen wurde.“ „Eingebrochen. Na das erklärt natürlich … alles, Herr Polkmann.“ „Alles!“ erwiderte Polkmann und warf eine massive Buddhastatue durch das Fenster. „Meine Sprechstunde können sie auch gleich absagen.“ „Aber die ist doch erst am Freitag.“ Polkmann nahm einen tiefen Zug „… eben. Wenn sich mich nun entschuldigen würden. Ich habe noch etwas zu erledigen.“ Er klemmte sich eine Mappe unter den Am und öffnete das Fenster. Erst warf er die Mappe heraus, dann sprang er hinterher. Zwischen den herunterflatternden Papieren war ein dumpfer Aufschlag zu hören, gefolgt vom Rascheln und Knacken einiger Äste.

Zinkmann wartete kurz, dann lehnte er sich aus dem Fenster und musterte den Innenhof. Allem Anschein nach hatte niemand das Zerspringen der Scheibe gehört. Zumindest schien es niemanden zu interessieren. Er schloss das Fenster und klebte das abgerissene Stück Tapete vor die Bruchstelle. Selbst ein genauerer Blick ließ ihn nicht durchschauen, was der Professor in seinem Zimmer veranstaltet hatte. Alles deutete auf einen Mondkranken hin, der hier zum Schutze seiner selbst und der Menschheit bei Vollmond eingeschlossen worden war. Nicht zuletzt die Kratz- und, so sah es jedenfalls aus, Beißspuren an den Möbeln. Er überlegte, was zu tun sei. Die abartige Zerstörungswut, von der nicht zuletzt tiefe Fingerknöchelabdrücke im Stuckwerk zeugten, überstiegen eindeutig das Maß normaler Einbrüche und den Vandalismus jeglichen Rowdys. Zinkmann stieß mit seinem Fuß gegen einen Band der Kritik der reinen Vernunft. Plötzlich sprang die Tür auf und knallte gegen den Ascheeimer. Polkmann betrat das Zimmer und verzerrte sein Gesicht in groteskem Schrecken. „Raub! Diebstahl!“, schrie er und zerzauste sich noch weiter das Haar, aus dem ein paar Blätter rieselten. „Zinkmann, alamieren sie die zuständigen Behör… wieso klebt denn dort Tapete am Fenster?“ „Damit es nicht so zieht.“ „Schlecht, Zinkmann, fatal! Welcher Einbrecher würde denn zur Schadabwendung seines zu Beraubenden ein Stück…“ Polkman drehte sich um und sah eine sog. Studierende mit offenem Mund in der Tür stehen. „Feldversuch!“, brüllte er und schlug die Tür zu.

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Medienforum Mittweida – Das Plagiat und der Gonzosoph

Der Reportage erster Teil

Was lernt man auf einem Medienforum? Menschen kennen, eventuell auch sich selbst. Wo fängt man da an? Der Tag fängt mit der Nacht an, nicht mit dem Morgen. Vor Allem wenn man wiederholt nur ein paar Stunden schläft und um vier aufsteht, spielen in der Folge Uhrzeiten eine weitgehend untergeordnete Rolle gegenüber dem aufbegehrenden Kopfschmerz. Die Nacht jedenfalls war interessant und Baldrian ist ein zu recht kultiviertes Gewächs. Ich fahre also mit dem Zug buchstäblich quer durch Deutschland, den Kummerbund an Germanias Taille entlang in den tiefen Osten Die Haare hatte ich mir schneiden lassen, das Kaugummi von meinem Sakkoärmel geknibbelt – ich lehne mich einfach viel zu gerne irgendwo an – und die doch schon ziemlich ramponierten Schuhe geputzt. Allem Anschein nach ein gut integrierter und respektabler Bürger, nur etwas blass.

Das Thema würde die Verbreitung von Plagiaten innerhalb des Literaturbetriebes sein. Nicht, dass ich dazu einen großen Sachverstand mitbrächte. Eingeladen hatte man mich wohl aufgrund der Einfachheit, jemanden wie mich zu Googeln, sofern man nach den richtigen keywords sucht. Welche Rolle dabei spielte, dass ich Blogger und vielleicht sogar Autor in spe bin, kann ich nicht wirklich beurteilen. Sich selbst unter Juristen und Funktionsträgern als Exot zu sehen, erschien mir jedenfalls als sehr angenehm. Bezahlt werden würde jedenfalls alles und außerdem: Was habe ich schon zu verlieren, außer meinem Selbstbild? Unter Mittweida konnte ich mir so recht nichts vorstellen. Als ich die Einladung bekam, habe ich erst einmal nachgesehen, ob es das überhaupt gibt. Die Bildersuche spuckte zuvorderst das Foto zweier Glatzen auf einem Mofa aus, welche stolz Reichskriegsflagge und Hitlergruß präsentierten. Das absolute Ostklischee müsste einem an der holländischen Grenze Geborenen doch auch die 14 Stunden Zugfahrt wert sein. Die Seite des Medienforums Mittweida selbst wirkte professionell, dass Interesse an meiner Person ehrlich, wenn auch von meiner Warte aus unverständlich. Dennoch schlage ich ja kaum einmal die Gelegenheit aus, wenn man mich öffentlich reden lassen will:

Vom Raubdruck und seinem kreativen Potential

Das Plagiatsverbot in der Literatur ist eine englische Erfindung und anders als Rechtsradikalismus dem historischen Deutschen eher wesensfremd. Er raubdruckte ungestraft noch gut hundert Jahre vor sich hin, während der britische Autor längst geschützt wurde. Trotzdem bot der deutsche Literaturbetrieb zu dieser Zeit mehr Autoren auf und entlohnte diese dabei teilweise sogar wesentlich besser, als dies jenseits des Kanals üblich war. Im Empire Luxusware und kaum erschwingliches Statussymbol, wurden Bücher hierzulande eher verschlungen – als günstiges Konsumprodukt. Dadurch erhielten sie Breitenwirkung und das Romanelesen diente nicht bloß Distinktion sondern Identitätsbildung, wurde stil-, sinn- und namengebend für eine ganze Epoche. So war ich auf die Diskussion vorbereitet, in der es laut Programm sicher weniger um den ‚Raubdruck‘ als um das, wie Iris Radisch es in der causa Hegemann nennt, ‚falsche zitieren‘ gehen würde. Darum also, inwieweit Autoren Quellen ohne explizite Angabe oder Absprache verwenden, verändern und die Ergebnisse verkaufen dürfen, ohne sich stilistisch, juristisch oder moralisch schuldig zu machen.

Diese Debatte ist theoretisch nach Poststrukturalismus und Entdeckung der Intertextualität nicht einfacher, juristisch nach den Urheberrechtsexplosionen des vergangenen Jahrzehnts sicherlich relevanter geworden. Da ich mich aber in der Theorie nicht auskenne und das Recht jenen überlasse, die sich daran halten, ist die Sache für mich noch immer recht einfach: Es geht nicht darum, ob übernommen, übertragen oder übervorteilt wurde, sondern schlicht und einfach um die etwaige Verschleierung dieser Vorgänge. Die liegt dann vor, wenn maßgebliche Quellen nicht angezeigt und womöglich der relevanten Öffentlichkeit auch gar nicht bekannt sind. All das in einem Umfang und einer Nähe zur Quelle, dass es einem unangenehm auffiele, wenn man diese kennen würde Ein Beispiel:

Bin ich Schiller? Nein!

Zitiere ich in meinem Tagebuch einmal einen Sinnspruch Schillers ohne es weiter als Zitat auszuweisen, dann sollte man das auch so merken oder könnte es zumindest merken, da Schiller durchaus bekannt ist. Außerdem veröffentliche ich es nicht. Will man mir hier also Täuschungsabsichten unterstellen, müsste man mich für ziemlich dämlich halten. Druckt jedoch jemand längere Passagen meines Tagebuchs ab ohne meinen Namen dabei auch nur zu erwähnen, wäre ich für diesen eigentümlichen Versuch meine Privatsphäre zu schützen kaum sonderlich dankbar. Der Kopist könnte mit Sicherheit davon ausgehen, dass meine Tagebucheinträge von hoher Qualität und dennoch völlig unbekannt sind. Gewinn winkt. Solch ein Vorgang ist natürlich etwas völlig anderes als der formale Vorwurf des falschen oder das stilistische Manko des übermäßigen Zitierens erfassen. Man kann vom Diebstahl geistigen Eigentums sprechen.

Das Beispiel muss jedoch als Idealfall gesehen werden. Die Übergänge sind fließend und was noch Inspiration, was schon Plagiat ist, lässt sich literarisch gesehen wohl schlicht nur über die äußerst problematische Kategorie der Glaubwürdigkeit des Autoren oder, wie im Fall H., der Autorin entscheiden. Richtig ist nämlich, dass unangezeigtes Übernehmen von fremden Werken auch bei äußerst angesehenen Autoren durchaus Tradition hat. Einem Brecht verzeiht man es, weil man davon ausgeht, dass er schlichtes Stehlen nicht nötig habe. Auf diesen Punkt zielte auch die aktuelle Debatte ab. Wo von Kritikern, die „Axolotl Roadkill“ teilweise einfach nicht mochten, vor allem die Glaubwürdigkeit der Autorin angegriffen wurde, verteidigten andere nicht das Buch oder die Autorin gegen einen Plagiatsvorwurf, sondern ihre Authentizität und ihre literarischen Fähigkeiten. Hier geht es nicht um eine juristische Frage, sondern um ein Image – um Markenbildung. Es ließe sich auch kaum bestreiten, wie wichtig das Image eines Autors für seine Verkaufszahlen ist. Nicht erst die autobiographische Welle hat gezeigt, dass es viel entscheidender sein kann, wer ein Buch schreib(en läss)t, als was tatsächlich drinsteht.

Der Autor ist zwar tot, wird aber gut bezahlt

„Ja aber halt!“, werden die literaturwissenschaftlich Gebildeten unter Ihnen jetzt sagen, „amerikanische Wissenschaftler haben doch längst herausgefunden: Der Autor ist tot. Es gibt nur Text.“ Der Leser kauft jedoch etwas Anderes als bloßen Text. Natürlich hat der Einwand trotzdem Berechtigung und, ganz wie in den 90er Jahren, im Grunde jeder Recht: Ohne ein Werk an den Autoren zu koppeln macht ein Plagiatsvorwurf freilich keinen Sinn. Text ist Text und ebenso wenig Rechtsperson, die man anklagen könnte, wie Redundanz ein Straftatbestand ist. Der Autor will etwas übernehmen, weil er es nicht besser herzustellen vermag und es soll dennoch so erscheinen, als hätte er dieses Potential selbst entwickelt – dem Autoren ist etwas vorzuwerfen. Das einmal fertig gestellte Werk ist jedoch auf eine gewisse Weise vom Autoren losgelöst und für sich zu betrachten. Die Kopie kann maßgeblicher sein als das Original und auch einen hohen literarischen Wert besitzen. Nichtsdestotrotz muss sich der Autor den Plagiatsvorwurf in oben entwickeltem Szenario gefallen lassen, denn hier geht es nicht nur um Literatur, sondern auch ums schnöde Geld. Das hat sich verdient, wer etwas erschafft. Aber: Ein veröffentlichtes Werk soll den Autoren gerade deshalb zu Recht Geld einbringen, weil sie es für die Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Autoren und Öffentlichkeit haben dabei ihr Recht, letztere das Nutzungsrecht. Dieses macht nicht beim bloßen Konsumieren halt, denn Bücher werden nicht verdaut und wieder gänzlich ausgeschieden. Sie stiften Inspiration, schaffen Anknüpfungspunkte und gehen – hoffentlich – prägend in die Kultur ein. Wo jedoch nicht an ein Werk angeknüpft, sondern abgeschnitten wird, da lohnt der kritische Blick und eventuell die juristische Klage.

Die aktive Nutzung des kreativen Potentials eines Werkes scheint jedoch in der neueren Entwicklung des Urheberrechtes allenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen, gerade weil es immer stärker auf den Schutz der bloßen Konsumprodukte abzielt. Diese Spezialisierung führt jedoch nicht zu einem Anheizen von Kreativität, wie etwa in den Anfängen der Literatur ohne Urheberrecht, sondern zu einer regelrechten Flut von Klagen gegen vermeintliche Urheberrechtsverletzungen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich kann durchaus verstehen, dass in den Bereichen Popmusik und Mainstreamkino, auf welche die Verfechter dieser Verschärfung des Urheberrechts abzielen, Zweifel an der weiteren kreativen Nutzbarkeit der hergestellten Produkte gehegt werden. Sie werden ja einzig deshalb hergestellt, damit viele Leute davon leben können und zwar wesentlich besser leben können, als der Rest. Dementsprechend muss jede weitere Verwendung oder Veränderung als verdächtig gelten. Aber an diesem Punkt beende ich lieber den ersten Teil meines Berichtes über das Medienforum Mittweida, da mir zuletzt vorgeworfen wurde Ressentiments zu haben – gegen Leute, die besser (d.h. vornehmlich reicher) leben als ich. Sollte das der Fall sein, beruht das sicher zum Teil auf Gegenseitigkeit. Gerade in diesem Punkt sollte das Medienforum Mittweida für mich zur spannenden Erfahrung werden, versetzte es mich doch in eine völlig ungewohnte Umgebung. In einem VW Phaeton für über 100.000 Euro Listenpreis hatte ich vorher nämlich noch nie gesessen. Davon aber wie gesagt später mehr, denn das bisherige hatte ich geschrieben, bevor ich überhaupt in Mittweida angekommen war. Sie dürfen also gespannt sein. Ich war es jedenfalls.

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