Frühling (redux)

Mir sprießen wirre Reime,
Herzverwesungskeime,
ein Sichelmyrtensang.
Es grünt an meinen Haaren.
Mit zweiunddreißig Jahren,
da wird ein Leben lang.

Ich rauchte zu viel Benn.
Ich hab mich blau gesoffen,
mit Schiller lernt‘ ich Hoffen,
mit Trakl schmiss ich hin.

Nun sprengt der Mai ins Haus.
Nun wuchert‘s drin‘ und draus‘
von frischen, roten Wangen.
Vor Pflaumenmusverlangen

zieh ich die Loden aus.
Ist das nun doch die Wende?
Ja, Ne.
Ich schweife durchs Gelände,
ich ringe meine Hände,
und falte neuen Schnee.

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Ende

Er erwachte aus blicklosem Starren. In seinen Händen lag ein leeres Notizbuch, das er noch einmal durchblätterte. Nichts, nur sein Name darin, auf der ersten Seite. Es musste ihm gehören. Danach noch beziehungslos ein paar Sätze, Verse vielleicht. Er verstand sie nicht recht. Um ihn war es hell, warm, ein Zimmer, das er mit Blicken durchschritt. Das Fenster, ein Rechteck, angewinkelt um Luft hineinzulassen und nur hinein. Daneben ein Ankleidespiegel, seltsam deplaziert, als stelle man sich vors Fenster und kontrolliere den Sitz des Kragens, den Schnitt der Hose. Das war nicht sein Zimmer, aber er war allein, musste es schon lange gewesen sein. Im Spiegel sah er einen schwachbrüstigen Mann. Langsam kehrte der Geist zurück in seinen Blick. Es Klopfte. Er wachte auf.

Er versuchte sich zu erinnern, doch vor ihm lag nur die Weite des Feldes, das Blut an den Händen vor seinem Gesicht. Es trocknete schon, vertrocknete unter der Sonne. Er führte sie an die Lippen, die Nase, fasste Schmerz an und schreckte zurück. Die Hände glitten in seine Taschen und fanden einen großen, in Plastik gefassten Schlüssel. Ein Autoschlüssel. Nachdem er sich umgedreht hatte, sah er den Wagen am Wegesrand. Was tat er hier draußen? Allein, er war allein, aber wie lange schon?

Sie stiegen aus, gingen ein Stück. Der Wald lag nahe einer Wiese, öffnete sich zum Tal. Sein Bruder ging an seiner Hand. „Wohin gehen wir?“, grinste, „Spielen wir im Wald?“ Schwachsinnig, dachte der Bruder. Er zog den andern mit sich, zerrte ihn förmlich abseits des Weges, einen schmalen Pfad entlang. Dieser endete an ein paar Büschen, Bäumen, er ließ den Bruder los, machte noch einen Schritt zurück, spähte ins Unterholz. „Was wollen wir denn hier?“, wunderte sich der Bruder. Der Bruder sah einen Käfer an, der sich auf einem Ast sonnte. Darüber lächelte er. Dann drehte er sich um und schlug seinem Bruder mit der Faust auf den Kehlkopf, zwischen die Augen, hart, folgte seinem fallenden Körper, über ihm, schlug weiter zu, der Bruder konnte die Augen nicht schließen vor Schreck, begann zu weinen, mischte Tränen mit Blut, „was machst du?“ schluchzte er, gurgelte unter den Schlägen, stöhnte unter den Tritten, hörte auf, ließ den Atem. „Schwachsinnig“, schrie er, schlug weiter, dumpf, immer weiter, bis er nicht mehr wusste, was er da schlug.

„Hallo! Hallo! …Hallo!“ rief sein Bruder und lächelte breit. Er lächelte zurück, reflexartig, aber es war ein ehrliches Lächeln. „Schön, dich zu sehen.“ Sein Bruder umarmte ihn, sagte nochmal hallo und „das ist mein Zimmer. Was machst du hier?“ Er dachte nach und wusste es schließlich doch nicht. „Ich hab dich gesucht“, sagte er. „Hast du Zeit?“ Sein Bruder wiederholte die Frage, nickte anschließend heftig, grinste reflexartig. Wie immer. „Was willst du denn spielen“, fragte sein Bruder. Schwachsinnig, dachte der.

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Farce

Vor etwa dreiundzwanzig Jahren lebte in Dülmen ein fauler Student der mittelalterlichen Geschichte allein und genügsam in einer recht heruntergekommenen Dachwohnung unter dem Schatten einer kleinen Kirche. Eines Morgens, die Turmuhr hatte gerade 11 Uhr geschlagen, wurde sein Schlaf durch die folgende, ungehörige Begebenheit nachhaltig gestört: Die Wirtin hämmerte heftig gegen seine Zimmertür. Nach einigen Minuten der wüstesten Ruhestörung regte sich allmählich etwas in der mit zerschabten Möbeln und abgewanzten Kunstdrucken typisch eingerichteten Studentenbude. Man hörte eine Flasche umfallen und sehr lange ohne jeden Widerstand herumrollen. Der Student jedoch lag noch immer, wenn auch widerwillig murrend, in seinem warmen Bett. Es war die Katze gewesen. Sie hatte auf ihrem Weg durch die Dachluke eine leere Weinflasche umgestoßen.

Das laute Hämmern aus Herrn Meiers Wohnung rührte diesmal nicht, wie es alle seine Nachbarn vermuteten, vom abermaligen Umhängen seiner scheußlichen neoklassizistischen Gemälde, sondern daher, dass er mehrere verzinkte Nägel in den Kopf seiner toten Frau schlug. Mit jedem Hammerschlag surrten die kleinen Metallstifte in höherem, ansteigendem Klingen, bis sie schließlich mit einem letzten, satten Ton in der Schädeldecke versanken. Diese Betätigung diente freilich keinerlei praktischem Nutzen, Meier jedoch empfand sie als große Entlastung, ja Befriedigung. Seine Frau wusste dabei nicht, warum und wie ihr geschah. Wie sollte sie auch, war sie doch bereits tot. Die ersten Hammerschläge hatten noch keinen Nägeln, sondern vielmehr ihrem blanken Leben gegolten und mühelos die Knochen ihres Schädels zertrümmert sowie im dahinterliegenden Gewebe irreparablen Schaden angerichtet. Was das für ein Gefühl ist, wenn sich der stumpfe Schlagkeil eines Hammers seinen Weg durch das eigene Gehirn wuchtet, wagt man mit Worten nicht zu beschreiben. Hätte Frau Meier vorher noch Zeit und Geistesgegenwart genug gehabt, auf das extrem aggressive Verhalten ihres Mannes hin etwas zu sagen, so wäre es vermutlich ein tiefer Ausdruck der Verwunderung gewesen – so etwas wie „oh“ oder „nanu!“ Nun ja, Frau Meier war nicht gerade jemand, der zu tiefer Verwunderung fähig gewesen wäre, jedenfalls mit zunehmendem Alter nicht mehr. Zum ersten Mal in ihrem ganzen Dasein verdreckte sie nun das Haus. Scheußlich! Herr Meier grinste und setzte einen neuen, einen letzten Nagel an. Die Vielzahl der in sie getriebenen Zinkstifte hatte jedoch mittlerweile ein Stück der Schädeldecke herausgeprickelt und so führte der nächste Schlag Herrn Meiers zu einer noch größeren Sauerei – der Kopf platze auf und gab seinen Inhalt nur allzu enthusiastisch preis. Hirngewebe und dickes, stückiges Blut spratzten in dicken Spritzern an die Wand und auf den Teppich. Ekelhaft! Herr Meier lachte, so wie Kinder lachen. Es war ihm eine Wonne.

Lars, denn so hieß der faule Student, hatte sich mittlerweile mehr oder weniger angezogen und stapfte sich am Hintern kratzend in Richtung Zimmertür, an die noch immer unablässig geschlagen wurde. Die genervte Wirtin bewies ziemliches Durchhaltevermögen und als der Student die Tür dann schließlich doch noch öffnete, verirrte sich ihr letzter Schlag Richtung Tür zu einem weitausholenden Schwinger und ihr Untermieter musste sich, für ihn erstaunlich reaktionsschnell, ducken, um nicht mitten ins Gesicht getroffen zu werden. „Aber, aber Frau Oberin – wer wird denn gleich zuschlagen wollen? Darf ich fragen, womit ich mir diesen Akt der Agression verdient habe?“ „Die Miete…“, knurrte sie.

„Die Miete!“ wiederholte die Wirtin energisch, „die…“ – „…Miete, ja. Die Miete steht ihnen natürlich zu und ich denke unablässig daran. Glauben sie mir, mich schmerzt es doch am meisten, bei legitimen Ansprüchen mit den Zahlungen in Verzug zu geraten, nur plagen mich momentan generelle Geldsorgen, Forderungen jedweder Seite im Besonderen und ganz speziell die ausstehende Zeche eines gewissen, stadtbekannten Lokals. Sobald ich aber wieder an Geldmittel gelange, und ich bin guter Dinge, dass es bald dazu kommen könnte, warte ich doch seit einigen Tagen auf mir von meinem Oheim versprochene Wechsel in beachtenswerter Höhe, sein sie versichert, wird es mir eine ebenso große Freude sein, wie natürlich auch ihnen, meine ausstehende Miete unverzüglich und voll zu zahlen, mit Zinsen und samt Trinkgeld, versteht sich. Da lässt man sich nicht lumpen!“ Lars sah seinen Monolog im Gesicht der Wirtin ausklingen. „Nicht lumpen?! Die Miete!“ stieß sie noch einmal bedrohlich hervor, machte auf den flachen Absätzen kehrt und stampfte den Flur herunter. Lars grinste ihr hinterher, hob die Zeitung auf und schloss die Tür.

„Ein Pils bitte.“ Herr Meier blickte sich um. Seit seinen Studientagen hatte sich in dieser Kneipe Merkliches getan. Sie hatte einige neue Besitzer gehabt, wurde dementsprechend oft umdekoriert, manchmal modern, manchmal etwas schnodderiger und schließlich war es wohl zu einer Kombination von Beidem gekommen. Er war lange nicht mehr hier gewesen, und so kannte er den jungen, gelangweilt umherblickenden Barmann nicht. Der zapfte gerade wenig professionell so vor sich hin, fragte schließlich „Und? Wie läuft’s?“ – „Muss“, erwiderte Meier und legte einen kleinen Schein auf den Tresen. „Stimmt so.“ Er nahm einen großen Schluck und kramte in seiner Sakkotasche nach den Zigaretten, dann fiel ihm wieder ein, dass er seit Jahren nicht mehr rauchte. Alte Gewohnheit, dachte er sich, er war ja auch seit Jahren in keiner solchen Kneipe mehr gewesen. „Verkauft ihr auch Kippen?“, fragte er den Wirt. „Nein, aber hier darf man eh nicht mehr rauchen.“ Antwortete der. Meier nickte und nahm noch einen Schluck. Dann eben nicht.

Lars blickte von der Zeitung auf und runzelte die Stirn. Ermordet? Man las das ja oft, aber dies war ganz in der Nähe geschehen, im selben Stadtviertel. Vielleicht hatte er hinter dem Opfer in der Supermarktschlange gestanden, oder mit dem Täter zusammen am Tresen gehockt. Das war möglich, im Grunde gar nicht so unwahrscheinlich, wenn man berücksichtigte, wie manche von den Leuten aussahen, neben denen er sich abends oft am Tresen wiederfand. Lars blickte seinen Nebenmann an, einen unscheinbaren Mittvierziger, der kaum von seinem Glas aufsah. Der, ein Mörder? Der nicht, den kannte er schließlich, der fuhr doch Taxi. Lars hing dieser obskuren Vorstellung trotzdem noch einige Zeit lang nach, versuchte sich ein Gespräch mit einem Mörder auszumalen, eine Diskussion über Motive, über Methoden und die moralische Rechtfertigung eines Mordes. Raffiniert müsse man es schon anstellen, es zufällig wirken lassen, dann käme man sicher auch mit dem schlimmsten aller Verbrechen davon. Diese Gedankenspiele reizten ihn wohl umso mehr, da er sich im Klaren darüber war, dass es bloße Gedankenspiele bleiben würden. Er konnte keiner Fliege etwas zu Leide tun, das sah man ihm direkt an. Lars kramte in seiner Sakkotasche nach den Zigaretten, dann fiel ihm wieder ein, dass er gar nicht mehr genug Geld hatte, um sein Bier zu bezahlen. Das konnte nun wirklich peinlich werden. Er blickte sich nach dem Barmann um, versuchte auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um ungesehen zu verschwinden. Er würde schon zahlen, nur eben nicht heute. Verstehen könne das sicher jeder, wenn es zu erklären jetzt auch wohl eher der falsche Zeitpunkt wäre, dachte Lars.

„Na? Schon wieder in Habachtstellung!“ Wie ertappt zuckte Lars zusammen. Man hatte ihn durchschaut. Aber man lächelte nur. Frau lächelte; breit. Dieselbe Frau wie vorgestern, wie war ihr Name noch gleich? Anna war etwas verwundert, dass der sonst so wortreiche junge Herr vor ihr nichts sagte. „Na lass mal“, brachte nach kurzer Stille schließlich sie hervor. „Ich lad dich ein.“ Dann nickte sie dem Wirt zu, der mit kaum wahrnehmbarer Bewegung den Kopf schüttelte. Lars Augenbrauen hoben sich, seine Mundwinkel zuckten leicht und schließlich verwandelte sich dieser Gesichtsausdruck in eine Art Lächeln. Er steckte sich eine Zigarette an.

Eine etwas ältere Frau betrat die Kneipe und setzte sich an einen der Tische. „Was heißt älter? Sie ist genauso alt wie ich!“, dachte Herr Meier. Sie bestellte Kaffee und spielte an einem dieser neumodischen Geräte herum, mit denen man auch telefonieren konnte. Meier betrachtete Sie eine Weile und trank dabei sein Bier aus. Sie schien voll und ganz mit ihrem Gerät beschäftigt, wahrscheinlich spielte sie eines dieser Spiele, bei denen man mit geometrischen Figuren möglichst schnell irgendwelche symmetrischen Formen herstellen muss. Was für eine Zeitverschwendung. Meier trank einen Schluck Wasser, räusperte sich und ging auf ihren Tisch zu. Sie blickte auf. „Darf ich stören?“, fragte Herr Meier. „Wir kennen uns noch nicht. Mein Name ist Lars“, sagte er und begann zu lächeln.

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Die Zukunft ist deutsch!

Folgende Rede wurde anlässlich des 142. Reichsgründungstages gehalten im Herrenclub Hansa zu Münster in Westfalen.

Meine Herren, ich brauche nun nicht weiter auf die glorreiche Vergangenheit unseres Vaterlandes eingehen – dieses Werk hat mein Vorredner in bester, ja ich möchte sogar sagen, in mannhafter Weise vollbracht. Es stellt sich angesichts dieser unserer Geschichte aber auch die Frage, was man aus ihr folgert. Und ich folgere aus ihr angesichts der aktuellen Entwicklungen in Deutschland und Europa eine ganz und gar positive Tendenz. Ich wage sogar zu sagen:

Freunde, die Zukunft ist deutsch.

Ich möchte deshalb euren Blick jetzt vor allem auf die aktuellen Erfolge im Streben um die Restauration der kulturellen und politischen Errungenschaften unserer Nation lenken, auf die Fundamente dieser, unserer deutschen Zukunft. Was haben wir gelitten? Jahre des Hohns und des Spotts mussten wir ertragen, wenn wir auch nur das Wort „deutsch“ in öffentlichen Debatten benutzten, wenn wir unsere Werte und Kulturgüter vor der Beliebigkeit einer „multikulturellen“ Verfallsgesellschaft verteidigen wollten. Spießbürger wurden wir genannt, schief angesehen wurden wir für die Mitgliedschaft in Studentenverbindungen oder Vertriebenenverbänden. Im Ausland lachte man über uns verklemmte Deutsche mit unserem übertriebenen Verständnis für Integrationsverweigerer und Sozialhilfeflüchtlinge.

Wer lacht jetzt, liebe Freunde? Die sicher nicht. Heute steht die Jugend Europas um Flugtickets an, weil sie alle sich nichts sehnlicher wünschen, als selbst deutsch zu werden. Ob in Spanien, in Frankreich und ja, selbst in Großbritannien schaut man wieder mit Staunen und mit Respekt über die Grenzen. Man überlegt sich, wie man es denn wohl genauso gut machen könne, wie man dasselbe erreichen könne, was wir hier, in Deutschland, erreicht haben.

Muss man nur die Löhne senken? Die Arbeiterrechte einschränken? Vielleicht ein paar Kürzungen bei dem arbeitsscheuen Gesindel vornehmen, bei den Alten? Freunde, ich sage euch: Deutschland ist nicht allein deshalb so erfolgreich, weil es sich endlich wieder von dem hohlen Ideal des sozialen Friedens verabschiedet hat. Deutschland ist so erfolgreich geworden, weil es endlich wieder deutsch denkt und weil es deutsch handelt. In diesem Denken und Handeln waren alle genannten Schritte nur die logische Konsequenz. Wer es verinnerlicht hat, der weiß, dass wo immer gespart wird, sparen wir für Deutschland. Wo immer jemand arbeitet, arbeiten wir für Deutschland. Und wo immer etwas geboren wird, gebiert Deutschland!

Meine Herren, ich bin mir sicher, dass alle hier Anwesenden in diesem Geiste übereinstimmen. Ich möchte aber noch einmal an die Verantwortung erinnern, die Sie als Deutsche für unser Land und Volk tragen. Gedenken Sie ihrer nicht nur an solch bierseligen und einträchtigen Abenden wie dem heutigen. Auch wenn Sie alle die Liebe zum deutschen Vaterlande teilen, so wissen doch manche auch, dass dies freilich keine einfache Beziehung ist. Wie das deutsche Weib, genauso spröde ist Deutschland. Da möchte man manchmal einfach seine Ruhe haben. Aber denkt daran: Wann immer sie euch braucht, ihr müsst euren Mann stehen. Wofür auch immer sie euch braucht, seid da. Und wenn es euch mal schwer fällt, Freunde, schließt die Augen, und denkt an Deutschland.

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Mediale Führungsschwäche

Das gestrige „Dreikönigstreffen“ der FDP ist eigentlich kaum der Rede wert, denn es kann in Ablauf und Ausgang doch wohl Niemanden wirklich überraschen. Allenfalls die nochmals aufgewärmten Durchhalteparolen, mit welchen sich „die Liberalen“ ihrer Daseinsberechtigung zu versichern versuchten, nämlich als „einzige Partei in Deutschland, die für die Freiheit kämpf“ (Rösler), bzw. natürlich gegen die drohende „grüne Vermögenssteuer-Stasi“ (Brüderle), sind in ihrer Geschmacklosigkeit beachtlich. Eine Partei, bzw. ihr Vorsitzender, der zum Abschluss seiner Rede nur noch darum bittet, dass man mit der Kritik zukünftig doch etwas rücksichtsvoller verfahren soll, kann nur noch Kopfschütteln verursachen.

Führungsschwäche oder „das Problem Peer“

Interessanter ist zur Abwechslung vielmehr die unweigerlich entstehende Anschlussdebatte, denn sie zeigt Eines sehr schön: Egal wo dieser Tage das Wort auf die politischen Parteien fällt, ob im persönlichen Gespräch oder journalistischem Diskurs, es geht stets um die Führungsschwäche von Kanzlerkandidaten, Parteivorsitzenden und anderen Chargen: So bei “Problem-Peer“ oder einem Rösler, der sich von seinen Untergebenen während des Parteitages „auf der Nase herumtanzen“ lässt und nicht zuletzt auch bei der Kanzlerin, die zwar alle irgendwie so ganz ok finden, von der man es aber lieber sehen würde, wenn sie bei den zahlreichen Raubkopierverbrechern und Fliegenden Teppichen unter ihren Ministern auch mal Basta(!) sagen würde, bevor wieder die rollende Köpfe verlangenden Meuten vor den Ministerien auftauchen und ihr angesichts dessen gar nichts anderes mehr übrig bleibt.

Die politische Kultur geht nun wohl endlich komplett darin auf, worauf Spiegel/Bild sie nunmehr seit Jahren zu reduzieren versuchen: Personalentscheidungen. Schaut man in die gängigen Medien, glaubt man bald, wir leben nicht in einer Parteiendemokratie, sondern unter einem Senat von Popularen und Optimaten. Der Deutsche will eben keine Debatten, er hat nun einmal eine Schwäche für gute, d.i. unumstrittene Führung, egal in welchem politischen System. Dafür symptomatisch ist, dass man von einer Partei, die seit Jahren für keinerlei politische Agenda oder auch nur irgendeinen konkreten Inhalt mehr steht (sondern bestenfalls noch für sicher zündende Pointen), nichts anderes erwartet, als dass entweder die zweite Reihe gefälligst still hält, oder ihr Vorsitzender sich auf seinem verlorenen Posten zumindest nochmals tüchtig wehrt – glorreiche Rückzugsgefechte sind wohl ebenfalls eine Herzensangelegenheit der Deutschen, wie KT „Wettertanne“ Guttenberg und Christian „Stahlgewitter“ Wulff eindrucksvoll bewiesen haben.

FDP: Entkernt, Entgeistert

Als Antwort der FDP auf die offensichtlichen Zersetzungserscheinungen wünscht man sich jedenfalls nichts weiter, als neue Köpfe, möglichst jung bzw. bloß nicht Brüderle. Dabei kann man die Schwäche der FDP nicht ursächlich ihren Vorsitzenden Rösler/Westerwelle anlasten, sondern vielmehr der durch die Mitglieder begeistert aufgenommenen kompletten Entkernung, welche man dem Wähler allen Ernstes als „Spaßwahlkampf“ verkaufen wollte. Die Person Westerwelle diente dabei zwar als Aushängeschild einer Politik, für die selbst ihre einzig konstante Forderung, nämlich die nach einem „einfacheren und gerechterem Steuersystem“ dann nach eingetretenem Wahlerfolg plötzlich, natürlich verhandelbar bzw. gar nicht mehr so wichtig war. Das Problem liegt aber nicht nur bei ihm bzw. seinem Nachfolger. Übrigens: Unpopulär wurde diese Un-Politik freilich erst, als man die Wahlen schließlich reihenweise verlor. Auch ein bekanntes Phänomen der deutschen Geschichte. Wer das erkannt hat, der ruft nun wieder sehnsüchtig nach dem Geist der Granden (Hamm-Brücher, Gerhart Baum oder Burckhard Hirsch). Aber eben nicht nach deren konsequenten politischen Positionen, die z.B. Hamm-Brücher 2002 aus der Partei haben austreten lassen.

Bei der SPD ist es übrigens das Gleiche, denn auch hier unterhält man sich nicht über die Bekämpfung der offensichtlichen sozialen Schieflage, sondern die größte Sorge ist pecunia-Peers Aussage zum Kanzlergehalt. Als würden damit Wahlen gewonnen. Den Gegenbeweis liefert Merkel, die eben bei allen Sachfragen schon längst da ist, wo die doch eigentlich für selbige Inhalte streitenden Parteien erst mühsam hinwollen: Der Forderung nach Mindestlohn, erneuerbaren Energien und einem einfacheren, gerechteren Steuersystem. Das eine solche Tausendsassarei inhaltlich widersprüchlich und im Einzelnen dann auch alles andere als progressiv ist, wäre ein Wahlkampfthema. Aber wer will schon gegen Mutti die Stimme erheben.

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