Feuilletonismus

Google = Gott? Ja, solche Vergleiche zieht man heute. Weiter: Google und Apple machen uns mit ihren Geräten gottgleich. Und das scheint heute eine These zu sein, die sich aufdrängt, wenn man den Zeitungen glauben will. So sei das Google Handy „die entscheidende Prothese auf dem Weg zum absoluten Wissen“ [Zeit 14.01.10], folglich nach nun meinetwegen 10.000 Jahren Kulturgeschichte endlich die Überwindung der Entzweiung von Sein und Erscheinung (Wissen und Welt). Also genau das, was seit dem Anbeginn der Philosophie alle Denker gleichwohl erträumten, obschon sie es für unmöglich hielten – Nexus One macht uns gottgleich. Doch wenn ich ein Glas Wasser drauf gieße, dann ist es kaputt. Und was ich vornehmlich damit tun kann, ist telefonieren und mir in kleinem Ausschnitt detailreiche Landkarten mit ausführlicher Legende ansehen. Entschuldigung, aber so bleib ich doch ein sehr fader deus ex machina.
Ist es die bloße Sehnsucht nach einer neuen, das Leben gänzlich umwälzenden Technologie, die diese Beschwörungen und Götzendienste hervorbringt? Das Internet vermochte es ja leider nicht, dem Leben eine gänzlich neue Qualität zu geben. Es hat lediglich dazu geführt, dass wir, was wir eh schon taten, jetzt online tun können: Kontaktanzeigen aufgeben und beantworten, Pornographie ansehen und Pizza bestellen. Sicher, es erleichtert uns den Zugang und darüber hinaus hat sich der Funktionsumfang etwas erweitert, aber nicht die Grundfunktionen, nicht die „Tiefe“. Sie mögen 1000 Facebookfreunde haben – wie viele davon laden sie zu ihrem Geburtstag ein? Web 2.0 führte bisher nicht zum Menschen 2.0, ja nicht einmal zum User 1.01 – im Gegenteil.
Und deshalb ist diese „Revolution der Kommunikation“ nicht viel mehr als die „Revolution des Fahrgefühls“ – ein bloßer Werbeslogan, der es wiedermal aus dem Anzeigenteil der Zeitung in den redaktionellen geschafft hat. Da mag man Kloppstock zitieren, soviel man will. Übrigens, der einzige Neogott (sprich I-Phonebesitzer) den ich kenne, besaß zwar dutzende „Apps“ für sein Gerät, konnte aber damit nicht mal Fotos auf seinen PC übertragen. „Viel zu kompliziert“ war seine Begründung. Ein völlig neuer Ansatz zur Theodizee.

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Banker und Privatbankiers ™

„Und auch die Schweizer Bankiersvereinigung hält nichts von Geschäften mit Kriminellen.“

(tagesschau.de)

Ein überraschender Satz, oder? Wenn sie glauben er bezöge sich darauf, dass Schweizer Bankiers ihrem werbewirksamen Motto untreu würden, „[Weder Gott noch Vaterland, sondern:] Nur unseren Kunden verpflichtet“, muss ich sie enttäuschen. Es ist natürlich keine Selbstverpflichtung gemeint, zukünftig Geldgeschäfte mit zwielichtigen Gestalten aus ominösen Finanzquellen zu unterbinden. Man will diese bloß weiterhin im Zwielicht lassen können. Da ist es schon eine Unverschämtheit, wenn deutsche Behörden Bankdaten aus der Schweiz kaufen, die sie in Deutschland ohne Weiteres legal erfragen könnten. Mir jedoch ein Rätsel, weshalb die CDU plötzlich zur Datenschutzpartei wird, wenn es um Bankdaten von Schweizer Nummernkonten geht. Eigentlich müssten gerade Vertreter der CDU zu den Schweizer Bankern doch so gute Kontakte haben, dass man sich schnell einig wird. Nun stellt die Schweiz jedenfalls zur Disposition, in Zukunft mit deutschen Finanzbehörden zusammenarbeiten zu wollen – was sie bis heute noch nie getan hat. Auf welchen seltsamen Wegen Schweizer Justiz wandert, wenn es um ausländische Staatsbürger geht, die dem eigenen Land Einnahmen bescheren, konnte man nicht zuletzt im Falle Polanski sehen.
Und wieso eigentlich Datenschutz? Wenn es einen Informanten gäbe, der eine Liste mit klaren Beweisen für Straftaten feilbieten würde, dann liegt das moralische Dilemma doch nicht darin, dass man die Daten von Straftätern vor den Justizbehörden schützen müsste. Wäre das der Fall, dürfte man schließlich deutsche Banken auch nicht nach Auffälligkeiten in den Bankdaten fragen dürfen. Die Frage ist lediglich: Darf die Polizei Belohnungen zum Ergreifen von Tätern aussetzen oder Entlohnung für Informaten. Diese Frage ist längst beantwortet. Reden sie mal mit NPDlern, die können ihnen was davon erzählen…

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Neujahr

Sollte man jemals Anlass dazu finden, dann schreibe man von mir: Er tat sich schwer mit Allem, Wenige taten sich schwer mit ihm. Und er hatte ein reines Gewissen, bei Gott. Ich habe meinen Frieden mit Allen gefunden, längst nicht mit Allem und doch mit mir selbst. Ich tat wozu ich im Stande, wenn auch mein Können begrenzt, so war es doch da und ich sah, dass es gut war.
Jetzt hintergehe ich mich: Mein Selbst streift jede Ordnung ab, wird bloßes Sein und mehr als das. Viel mehr als Nichts, dass mir Voraussetzung gewesen. Ich bin im Flow. Eher noch: Es fließt etwas. So gibt sich Mannigfaltigkeit, wenn niemand da ist, der sie unternimmt. Ein substanzieller Wackelpudding: Gott, der keine Namen weiß. Da lässt sich zeitlos zwar nicht denken, aber sein = Ich, das ist nicht frei von Etwas. Nein, Freiheit selbst ist – Es.
Bin ich nun etwas anderes? Unmöglich darauf ist die Antwort wie auf jene Frage, wie es war, als ich da wurde, wer ich bin. Werden, das ist Nichts, das bleibt. Sein, das Ende in sich trägt – wie jeder Mensch den Tod. Dies Sein, das niemals wird, bleibt auch das Werden, das nicht ist.
Und alles geht vorbei.

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Das Wagnis der Muße

Man darf heute ja alles anzweifeln. Sogar die Strukturen der Marktwirtschaft fallen seit Neuestem darunter. Die Finanzkrise führte zu Feuilletonschlachten, in denen der Kapitalismus als entfesselt und entmenschlichend dargestellt wird. Doch übersieht man dabei, wie kapitalistisch unser Denken bereits ist. Wir betreiben diese Wirtschaftsform nicht allein deshalb, weil sie unsere Bedürfnisse befriedigt, sondern weil wir ihre Bedürfnisse zu den unsrigen gemacht haben. Wir haben den Geist des Kapitalismus verinnerlicht. Wir selbst sind entfesselt und wenn es für den Kapitalismus stimmen sollte, sind auch wir entmenschlicht. Nicht nurmehr der Markt oder seine Unternehmen, wir Menschen wollen expandieren, akkumulieren und unsere Konkurrenten verdrängen. Samt und sonders Ich-AGs, rationalisieren wir unsere Handlungen innerhalb der Arbeitswelt, wie der Freizeit. Beziehung, Familie und Freundschaft bleiben davon nicht verschont. Das Kosten/Nutzen Verhältnis wird zum einzigen Maßstab und alles, was in diesem Lichte unvorteilhaft erscheint, schlicht „wegrationalisiert“.

Man kann einwenden, dies sei keine neue Entwicklung. Der Mensch habe immer schon danach gestrebt, sich das Leben leichter und komfortabler zu machen und deshalb sei er stets bemüht gewesen, seine Arbeitsprozesse zu optimieren. Und das stimmt. Ein Pfluggespann ist besser als eine Hacke, denn es erleichtert die Arbeit – verkürzt sie und erhöht ihre Produktivität. Dieser Produktivitätsgewinn hat erst einmal dazu geführt, dass ein Bauer mit weniger Arbeit mehr Ertrag erwirtschaften konnte. Die Folge war ein leichteres Auskommen, Brot mit etwas weniger Schweiß im Angesicht. Aber der moderne Mensch strebt eben nicht mehr nach Komfort und einem leichten Leben. Man kann sich das sehr leicht vor Augen führen: Wie viele Stunden müssten sie jeden Monat arbeiten, um eine Wohnung und die Dinge des täglichen Bedarfs bezahlen zu können? Reicht das?

Nein! Werden sie nun empört sagen – oder gleich Sozialleistungen beantragen, denn deren Bemessungsgrenzen würden ihnen ansonsten einen für sie ausreichenden Lebensstandard nahezu ohne Arbeit ermöglichen. Und nicht nur ihnen reicht das nicht. Auch der Bauer machte nämlich nicht einfach Feierabend und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein, als er plötzlich denselben Acker in einem Bruchteil der Zeit pflügen konnte. Er vergrößerte ihn und schaffte so ganz nebenbei die Subsistenzwirtschaft ab. Die verschwand in Deutschland allerdings erst im Laufe des 19. Jahrhundert und damit parallel zur Durchsetzung jener Entwicklung, die wir heute mit Industrialisierung bezeichnen. Vor dieser Zeit hatte die Erleichterung der Arbeit vor allem einen Zweck: Weniger und leichtere Arbeit zu haben. Arbeitslosigkeit war kein Fluch, sondern der Traum ganzer Jahrtausende – wenn es denn nicht mit Auskommenslosigkeit einher ging. Aristoteles etwa sah in der Lohnarbeit den größten Feind des Denkens. Die Höchste Befriedigung eines glückseligen Lebens stellte für ihn dagegen nur eines dar: Nichts tun; kontemplativ den Sternenhimmel betrachten oder schlicht nachzudenken als das dem Menschen größtmögliche Glück. Wer da durch laut sägenden und hämmernden Maschinenlärm des Nächtens gestört wird, preist dies kaum als Segen einer durch-“rationalisierten“ Gesellschaft.

Heutzutage darf man ja alles tun, nur nicht nichts. Es ist das seltsamerweise völlig akzeptierte Paradigma eines dogmatischen Pragmatismus, dass es besser sei alles falsch zu machen, als es gar nicht erst zu versuchen. Aber ist denn wirklich besser ein schlechter, dummer Präsident zu sein, als die Wahl gar nicht erst anzustreben? Kein Wunder, dass einer so verantwortungsloser Auffassung der Begriff „Demut“ abhanden gekommen ist, ja sogar als moralisch anstößig gilt, wie eben das Nichtstun selbst. Man mache sich das klar: In diesem Sinne waren etwa die meisten Philosophen, Kirchenväter, Poeten und Wissenschaftler vergangener Epochen höchst unmoralisch – Sie machten die meiste Zeit nichts. Sie gaben sich der Muße hin. Muße ist aber ein gänzlich anderer Begriff als unsere heutige Freizeit, die mit Freiheit so gut wie gar nichts mehr gemein hat, sondern nur mit Herstellung. Wiederherstellung der Arbeitskraft, Konsum des Erarbeiteten zwecks Schaffung neuer Nachfrage für Arbeit. Muße dagegen ist der kreative Freiraum, den sich ein Individuum selbst gibt und in höchstem Maße Selbstverwirklichung. Deshalb entfremdet ausartende Arbeit auch, weil sie uns der Muße beraubt. Sie artet aus, weil sie nicht mehr dazu da ist, ein angenehmes Leben zu ermöglichen, sondern selbst als das angenehme Leben erscheint: Liebe deine Arbeit, mache sie zu deinem Leben. Wollen wir das wirklich?

Bevor sie diese Frage beantworten, führen sie sich bitte eines vor Augen. Sie werden sterben. Und die meisten von uns sterben zumindest nach eigener Einschätzung viel zu früh. Zeit ist der einzige Rohstoff, den jeder Mensch hat und es ist ebenfalls derjenige, an dem es uns Allen ermangelt. Und zwar existenziell. Arbeitszeit ist eben deshalb das wichtigste Gut im ganzen Wirtschaftsprozess – sie verleiht Produkten ihren eigentlichen Wert (leider nicht immer ihren Preis). Was ich kaufe oder bezahle, muss ich selbst nicht mehr Herstellen oder tun. Bei Dienstleistungen ist uns dies klar, aber auch Produkte sind letztlich nichts anderes als an einem Rohstoff materialisierte Arbeitszeit. Diese lässt sich auch recht leicht wieder zurück rechnen, jedenfalls für einen selbst. Überlegen sie sich vor ihrem nächsten Besuch im Reisebüro einfach mal nicht, wie viel Geld, sondern wie viel Arbeitszeit sie für ihren Flug erbringen müssen. Wie viele Tage ihres Lebens haben sie ihrem Auto geopfert, leben sie heute einmal nur für ihre neue Mikrowelle?
Die arbeitsteilige Gesellschaft hat uns eine derartig große Produktivität verliehen, dass wir mit relativ geringer Arbeitszeit unsere grundlegenden Bedürfnisse stillen können. Das ist tatsächlich ein Fortschritt. Wie lange würden sie brauchen, um eigenhändig ein Pfund Mehl herzustellen und wie schnell schaffen sie es dagegen, mit ihrem Stundenlohn ein Pfund Mehl aus dem Supermarkt bezahlen zu können? Doch dieser Fortschritt hat kaum zur Reduktion der individuellen Arbeitszeit geführt. Jedes Jahr steigt die Produktivität weiter, doch seit Jahrzehnten arbeitet man gemeinhin 8 Stunden täglich. Gleichzeitig sind Millionen gänzlich arbeitslos und müssen aus den 8 Stunden der arbeitenden Bevölkerung gegenfinanziert werden. Ja, es werden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchgeführt, die ebenfalls aus ihren 8 Stunden Lebenszeit bezahlt werden, nur damit jene Arbeitslosen nicht zu viel Zeit mit sich allein haben. Und das ist es, was die eigentliche Perversion unserer Gesellschaft darstellt: Dass man zu viel Zeit für sich haben kann, angeblich. Muße? Fehlanzeige.

Wir erarbeiten uns zwar einen immer größeren Wohlstand, der macht uns aber erwiesenermaßen nicht glücklicher. Im Gegenteil, unser schlimmster Mangel wird uns nur noch deutlicher: Der Mangel an Zeit, Lebenszeit: Muße. Ob die uns glücklicher machen kann? Nehmen wir uns doch die Zeit, es heraus zu finden. Wir haben ja nur noch den Rest unseres Lebens. Oder zumindest die Zeit, in der wir arbeitslos sind.

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Bildungsstreik eskaliert!

Marburger Studenten proben den Aufstand (Quelle: tagesschau.de)

Marburger Studenten proben den Aufstand (Quelle: tagesschau.de)

So sieht also Aufruhr aus. Vor leeren Rängen malen hipp gekleidete junge Menschen mit Farbe an der Nase bunte Plakate mit witzigen Slogans darauf, die Marketingstrategen sich kaum besser hätten ausdenken können. Oder ist dieses friedselige Posieren vor der Pressekamera vielleicht nur eine Tarnung, um von illegalen Aktionen abzulenken und die Apparatschiks in Sicherheit zu wiegen? Nein, das ist schon alles und ernst gemeint. Wo Aufruhr so amüsant ist, kann jedenfalls die Revolution nur lachhaft sein. Live anzusehen war eine derartige Aktion auch in Münster. Das Audimax wurde besetzt. Vorne debattierten ein paar Menschen nach dem Konsensprinzip darüber, warum sie überhaupt da waren. Was wollte man denn überhaupt? Darüber sollte doch erst einmal Einigkeit herrschen. Nach Vorbild der „ständigen Revolution“, also des Deutschen Bundestages, wurden zuvorderst Arbeitsgruppen delegiert. Diese bemühten sich direkt vor der Webcam medienwirksam darum, eine möglichst gerechte Verteilung von Tabak, langen Blättchen und kleinen Pappstückchen herzustellen: „Hast du noch was da?“ – „Nä, nur Bier…“. Ernst nehmen muss man diese jungen, idealistischen Menschen, die darum kämpfen ein besseres Preis/Leistungsverhältnis für ihre Bildung offeriert zu bekommen. Jedenfalls solange sie noch da sind. Unter die paar Hundert Demonstranten in der Tagesschau haben sie es in Münster schließlich nicht geschafft – diese ebenso mutige wie entschlossene Infragestellung der Autorität wurde leider schon vorher durch einen Polizisten beendet: „Diese Veranstaltung ist aufgelöst. Der Saal ist zu räumen“ – „Dürfen wir vorher noch aufräumen?“ – „Geht klar.“ Mögen wir ihren heldenhaften Kampf, ihr Opfer für das Wohl der Gesellschaft niemals verleugnen. Niemals vergessen!

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