Beziehungsweise

Was ist eigentlich eine Beziehung? Was ist das Wesen einer Beziehung? Ist es Kooperation? Das nicht mehr ohne einander Auskommen? Augenscheinlich könnte es das sein, wo doch beim Zusammenbruch vieler Beziehungen offen zutage tritt, dass zumindest ein Beteiligter nicht mehr ohne den anderen auskommt. Aber ohne was kommt er nicht mehr aus und was ist daran eigentlich so schmerzhaft? Wohl nicht das Fehlen einer Person. Oft ist jene doch sogar noch da, wenn auch nicht für einen. Nicht die Person ist es, deren Verlust so schmerzhaft ist, sondern was sie für einen bedeutet hat. Was man ihr zuerkannt hat und wovon man glaubte, dass sie einem das gleiche zuerkennt. Dem ist plötzlich nicht mehr so. Wie unfair.
Eine Beziehung, egal welcher Natur, besteht wesentlich in gegenseitiger Anerkennung. Diese fremde Wertschätzung der eigenen Person benötigt jeder. Je intensiver die Beziehung, d.h. je größer der Wert, den man der Anerkennung einer Person beimisst, umso wirkmächtiger wird der Einfluss dieser Anerkennung auf das eigene Wohlbefinden. Wähnt man sich ihrer sicher, was für eine Euphorie und Selbstsicherheit gibt sie einem. Zweifelt man, kann einen dann überhaupt noch etwas sicher machen, jemals Selbstwert besessen zu haben? Anerkennung ist Segen, ist Fluch zugleich – eben Wesen dessen, was man Beziehung nennt. In der Übersetzung des alten Testaments ist sie Synonym für den Schlussstein von dem, was man heute unter Beziehung versteht: „Und er erkannte sie an“, danach folgt bereits die Auflistung der Nachkommenschaft.
Beziehung also ist gegenseitige Anerkennung. Das ist fair. Und besser noch. Von Liebe jedoch soll hier noch nicht die Rede sein. Liebe heißt, sich vor dem Pinkeln die Hände zu waschen – modern gesprochen.

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Wortwahlen

Da sitzt jemand auf dem feuchten Rasen des Grünstreifens und deutet auf den Punkt, an dem man aufgehört zu glauben. An dem man jede Hoffnung hat verloren, irgendwann noch mal etwas Bedeutendes im Leben zu erschaffen. Den Endpunkt von Bedeutung überhaupt zeigt er dir an.
Was bleibt sind Menschen, denen du Bedeutung schenktest und auf Gegenseitigkeiten hoffst. Punktuell. Nicht, dass man drüber sprechen müsste, es sich sagen, wie man‘s nennt. Man macht es einfach, wie man Eierkuchen macht.
Man kann dabei auch fernsehen und lernt in jedem Fall dazu. Zum Beispiel: Verbal sind „Liebe“ oder „Fotze“ Tabus von gleichem Rang. Will man nicht anecken, spart man sie besser aus. Ich erhielt vor kurzem eine Einladung zu einem Hochzeitsfest, die gänzlich ohne solch Begriffsgewichte ausgekommen ist. Das nennt man wohl sozialen Realismus.
Jedoch komm ich für meinen Teil da nicht umhin. Ich „liebe“ sie bestimmt, die blöde „Frau“.

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Dinge des Lebens

Abb.1

Wenn sie sich fragen sollten, wieso hier mal wieder solch langanhaltende Stille eingekehrt ist, so seien Sie, werte Leser, beruhigt. Alles hat seinen Grund – bis auf das Fass, dass man Leben nennt. Mich beutelt’s momentan an allen Fronten und dementsprechend gerät man als schon von Natur aus weinerlicher Gonzosoph schnell einmal ins Taumeln (Abb.1). Hinzu kommen dann auch noch reale Katastrophen, die einem selbst im sonst so vertrauten, heimischen Wohnraum drohen. Nun hat man mich des öfters gewarnt, mir werde irgendwann einmal die Decke auf den Kopf fallen (Abb.2), geglaubt habe ich das bis dato nicht. Dass jedoch meine Wohnsituation prekär ist, hat mir dieser Vorfall einprägsam gemacht und nun bin ich also auf der Suche nach einer neuen Behausung. Viel braucht man ja nicht zum Leben eines Gonzosophen, aber ein intaktes Habitat gehört nun einmal dazu. Keine Angst, sollten sie nicht wissen, was ein Habitat ist, liegen sie voll im Trend. Das nur am Rande. „Fakt ist:“ Neben anderen, angenehmeren Verwicklungen zwingt mich meine ganz persönliche Finanzkrise (von der übrigens auch niemand weiß, ob sie jemals endet) weiterhin wohngemeinschaftlich zu leben. Wer mich kennt, kennt die Implikationen. Wer mich nicht kennt, sollte mich kennen lernen – sowieso. (Abb.3)
Außer solch vermeintlich tollen Sprüchen, fällt mir nicht mehr sonderlich viel ein. Mein sich sonst zumindest gelegentlich regendes Geistesleben ist unter der Hitze des hereinbrechenden Sommers und dem Staub einer einbrechenden Decke vollkommen zum Erliegen gekommen. Dabei trinke ich mehr Kaffee als jemals zuvor.
Abb.2
Wenn sie jetzt denken: „Oh Gott, nun fängt auch er noch an über seinen belanglosen Alltag zu schreiben“, dann denken sie, was ich denke. Dies is auch einer der Gründe, warum sich die Gestaltung eines Artikels momentan eher schwierig darstellt. Ich tue es deshalb einfach den Bloggern gleich und fülle diesen Schrieb mit lauter Photos auf. Wer will in heutigen Zeiten eigentlich mit dem Prädikat „Blogger“ unterschrieben werden? Viele vielleicht, aber bei denen ist ja laut Schiller – und da stimme ich ihm vollkommen zu – wohl kaum die Wahrheit zu finden. Sehen sie?
GOnzosophWenn mir derartiges Sinnieren auch sehr gut zu Gesichte steht, es lässt sich damit kaum unter das heutige Pragmatismusideal schlüpfen. Jener Maxime folgend, sollte man vielleicht einfach den Arsch hoch kriegen, anstatt ihn seinen Lesern allforderst zu präsentieren (Abb.1)

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Was tun? – Münster und der Bildungsstreik im Juni 2009

Vor dem altehrwürdigen Münsteraner Dom steht ein hölzernes Rednerpult. Dahinter ein Mann mit grauen Haaren und einigen Zetteln in der Hand. Er ließt ab, beschreibt den Unterschied zwischen der Erklärung natürlicher Ereignisse und dem Verstehen menschlicher Handlungen. Wenn ein Apfel fällt, zum Beispiel, dann ist dies ein Ereignis und keine Handlung. Es lässt sich genau voraussagen wo er auftrifft und ebenso präzise bestimmen, wann er seinen Halt verlor. Es geht um Willensfreiheit. Wo etwas nicht auch hätte anders sein können, kann es keine freie Entscheidung gegeben haben. Freiheit braucht Modalität. Physikalisch ist dies nicht zu erfassen, denn die Physik kennt keine Modalität. Sie kennt nur Tatsachen. Und auch ihre Betrachtung der Zeit ist nicht modal sondern dimensional. Ein Zeitstrahl, zum Zeitpunkt t: 0 ist herrscht ein bestimmter Zustand und es kann nicht anders sein, als es ist.

Alles ist doch eine Frage der Skalierung, auch bei der Beurteilung von Menschen. Welche Zeitabschnitte sind relevant, um ein Ereignis zu erklären, oder gar eine Mentalität? Gibt es überhaupt noch eine Berechtigung, Menschen als zusammengehörige Gruppe zu beschreiben, nur weil ihr Geburtsdatum nicht weiter als gut ein Jahrzehnt auseinander liegt? Es scheint doch weit wichtigere Faktoren der Vorsehung zu geben, die unser Leben voraus bestimmen. Die OECD hat in Studien einerseits herausgestellt, dass weniger die Generation, als vielmehr der Status der Eltern die Ausformung des Lebens vorausbestimmen. Andererseits zeigte sie, dass soziale Unterschichten heute kaum mehr Berührungspunkte mit höheren Schichten teilen. „Abkoppelung“ ist der schöne Fachbegriff dazu. Was ließe sich also noch im Allgemeinen sagen zu den Menschen, die ich als meine Generation bezeichnen müsste? Was hat uns zu dem gemacht, was wir sind – was sind wir? Ich denke dabei kaum an die Vergangenheit, denn es gibt keine Mondlandung, keinen Mauerfall, der sich mir als entscheidend ins Gedächtnis geprägt hätte, persönliche Ereignisse sind es vielmehr. Massenwirkung kann ich keinem zuschreiben. Und massive Wirkung kann ich auch nichts von dem zuschreiben, was man heute im Allgemeinen mit meiner Generation verbindet. Mit der Musik, die wir angeblich hören. Den Erkennungszeichen, die wir mit uns führen. Gibt es solche überhaupt? Die Mode schlägt sie vor. Der Markt palettiert sich nach den aktuellen Kultursparten und absorbiert selbst jene Strömungen, die ihm feindselig gegenüber stehen. Aber das ist nicht neu, einen Grammy für alternative Musik gibt es bald 20 Jahre.

Im WDR5 spricht eine Münsteraner Studentenvertreterin für den Bildungsstreik. Sie sehe sich selbst in erster Linie als Kundin, so sagt sie, die viel Geld für die Bildung ausgebe und deswegen vor allem einen besseren Service erwarte. Damit bringt sie das Bildungsverständnis vieler ihrer Kommilitonen auf den Punkt. Solch Argumentation versucht nicht einmal ein übergreifendes Anliegen zu suggerieren. Sie streikt für ein Preis/Leistungsverhältnis, das noch mehr zu ihren Gunsten gehen soll. Sie betreibt Lobbyarbeit in eigener Sache. Das ist es vielleicht, was abseits der multimedialen Protestformen neu ist. Der Glaube, das Vertrauen in Nichts außer in den Markt und die Selbstvermarktung. In den Kunden, der einem sagt was man tun soll und dem Kundigen, der einem sagt wie man das hinbekommt. Hierin erschöpfen sich Hoffnung, Glaube und Gewissen. Wie die Werbung eines Schweitzer Finanzdienstleisters verspricht: „Wir fühlen uns einzig unseren Kunden verpflichtet“ – weder Staat noch Gott. Und dieses Selbstverständnis entfaltet sich überall.

In einem Seminarraum der Politikwissenschaft sitzen Studenten, zum Großteil Frauen, aber das ist hier nichts Ungewöhnliches. Die Referentinnen des katholischen Hilfswerkes Misereor erläutern die Entwicklungsarbeit ihrer Organisation am Beispiel Afrika. Sie beginnen den Vortrag damit uns mitzuteilen, wie sehr sie sich über die große Anzahl an Teilnehmern auch aus anderen Fakultäten freuen. Sie hatten zuerst erwartet, überhaupt niemanden hier anzutreffen – es sei ja Streik. Die Organisation und Arbeitsweise der Entwicklungshilfe werden von den dennoch Anwesenden interessiert zur Kenntnis genommen. Schließlich stellt jemand die Frage, wie die Referentinnen zur aktuellen Debatte um den Nutzen der Entwicklungshilfe überhaupt stehen würden. Ein Teilnehmer meldet sich mehrfach mit seiner Einschätzung zu Wort, dass man es in Krisengebieten nur zu genug Elend und damit Zorn kommen lassen müsse, so dass die Menschen schließlich aufbegehren und die Situation eigenhändig verbessern. Dabei würde es sicher auch zu Blutvergießen kommen, aber das sei nun mal der Lauf der Geschichte und legitim, wenn es denn zu Verbesserung führe. Er selbst könne das einschätzen, sagt er, denn er sei Afrikaner, selbst wenn er nicht so aussehe. Die Referintin antwortet: Zorn, Eigeninitiative, das seien in jedem Fall wichtige Faktoren. Es werden Flyer zum weiteren Programm der Fakultät gereicht. Ein Diskussionsabend mit Buffet und Filmvorführung, zur späten Stunde folgt „Powerpointfreestyle anschließend Dancefloor“ – Die lange Nacht der Bildung.

Ein befreundeter Master der Politikwissenschaften, der mich regelmäßig zu Landesdelegiertentagen der Grünen einlädt, erwidert auf meine Nachricht, ich schriebe gerade einen Artikel zum Bildungsstreik erst einmal die Frage, von welchem Streik ich denn spreche. Reaktion: „Interessiert keinen, sag ich dir jetzt mal so auf den Kopp.“ Und in der Tat behält die kleine Blondine, die vor dem Dom die Menschen anspricht und ihnen grüne Zettel hinhält, während da ein Professor über Willensfreiheit doziert, die meisten Flyer zurück. So recht kann niemand etwas damit anfangen, obschon das Wort Bildung in fetten Lettern zu lesen wäre. Doch geht es hier kaum um Bildung, als vielmehr um Ausbildung. Für die Rechte von Auszubildenden und Berufsanfängern würden in Deutschland wohl kaum Streikwellen das Land überschwemmen. Kann einen solch müder Protest überhaupt interessieren? Seit Wochen liegen meine Notizen dazu nun schon auf dem Schreibtisch ohne dass mir irgendeine Motivation gekommen wäre, mich mit der Beendigung dieses Artikels zu beeilen. Nur den Schlusssatz habe ich mir irgendwann dazu geschrieben, dass wer streiken wolle, wohl erst einmal arbeiten müsse.

Es ist Mittwochmorgen, der Dom zeigt fünf vor zehn. Vor der Uni stehen kleine Grüppchen, reden und rauchen. Die Parkplätze sind voll, die Fahrradständer belegt – so wie die Hörsäle. Nichts erscheint verdächtig. Auf dem nahegelegenen Domplatz ist Markt, wie jeden Mittwoch. Die Älteren und Alten kaufen frisches Gemüse und Schnittblumen. Im Hintergrund kann man ein leises Sirren hören. Eine Straße weiter demonstrieren Studenten und Schüler mit Plakaten und Trillerpfeifen. Schulmädchen in pastellfarbenen Sommerkleidern schwenken eine Fahne, während ihr Lehrer ihnen den Ablauf des Umzuges erklärt. Weiter abseits steht ein grüner Polizeitransporter, an dem ein Polizist lehnt und lächelt. Seine Kollegen auf den Sitzen dösen unter der Sonne. Links und rechts der Demonstranten flanieren Leute auf Einkaufsbummel durch Schmuckgeschäfte und Boutiquen. So viele Schüler laufen herum, dass man ein schlechtes Gewissen hat, sich eine Zigarette anzuzünden. Alles in allem bietet der Münsteraner Prinzipalmarkt mit seinem Kalksandstein eine gute Lärmdämmung und einzig der Straßenakkordeonist ist in die Seitengasse vor das Kaffee Kleimann gezogen, wo ihn eher der geschäftige Lärm der Kaffeehausbesucher übertönt, als jener Protest. An der Spitze des Demonstrationszuges stehen einige Fahrzeuge des Roten Kreuzes und sammeln Blutspenden. Viele Schüler bleiben stehen und lesen das Infomaterial, während andere sich gegenseitig und die historische Altstadt fotografieren. Aus den Lautsprechern der Demonstrationsleitung dringt eine dumpfe Baseline. Währenddessen ist vor dem Universitätsschloss bereits eine Bühne aufgebaut, auf der eine Ska-Band probt. Sie erwarten die tausende Zuhörer, die sich ihnen mit großer Verspätung entgegen schieben. Doch noch lange bevor der Zug eintrifft, stehe ich zum ersten Mal seit Jahren vor dem Studierendensekretariat im Schloss und denke darüber nach, mich zu exmatrikulieren.

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Luxus

Oft sitze ich an dem Fenster, in das am Morgen zu allererst die Sonne scheint und blinzle in das fade Licht der Straße. Ich muss nicht zu Bett. Ohne jede Aufgabe fängt der Tag erst gar nicht an. Manchmal schlafe ich von Sonnenauf- bis Untergang. Nur das Telefon stört bisweilen solche Ruhephase der absoluten Freiheit. Ja, frei bin ich wie ein fallender Stein. Ich habe mich befreit von allen Stolperstricken, die einem das Leben knüpft. Und da ich nun sogar die Liebe abgestreift habe, gibt es keine Angst mehr für mich. Ich sage euch: Das Leben fängt erst an, wenn man es nicht zu spüren braucht. Das ist der purste Luxus. Und nur zwei Finger breit entfernt vom Glück.

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