Belanglos

Gestern noch habe ich nichts als Worte gedacht. Konnte nicht lang schlafen und las mich bis zur Morgensonne. Draußen war es nass und winterwarm. Ich trank den Tag gegen die Müdigkeit im Hinterkopf. Die Absonderung von Sekreten begann erst wieder, als ich mit fahlem Mantel die Reihen der Glühwurstbuden abschritt, mich ständig umblickend, ob mich jemand erkannt hatte. Zum Glück kennt mich niemand weiter, als bis zum Nachnamen. Dank Rezession schmeckt die Luft wieder nach Benzin. Zündet zwischen den Neuronen. Nur nicht stehen bleiben.
Waren das Zeiten? Erstmals der Ehre halber Fingerknöchel gegen Blutergüsse gestaucht. Geladene Teilchen in polarer Lösung. Hormonelle Abstoßung, evolutionärer Magnetismus. Helle Himmel – saug dich satt daran. Heb dich aus der Grauzone. In good condition, not good conditioned. Man lernt nie draus.
Heute steht alles still. Als ich aufstand, war es dazu noch gar keine Zeit. Irgendwie muss ich dem Tag zuvor gekommen sein. So endet die Woche. Mit heißem Tee und kalten Aussichten.

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Fangen wir doch ganz von Vorne an

Freilich nicht bei Henne und Ei. Als ich ein Kind war, dachte ich immer: mehr. Doch mir wurden Gewohnheiten, etwa in den Spiegel zu sehen und so dachte ich immer: weniger. Gleichzeitig begann Ich zu lesen, sehr oft: „Wer das liest ist“, doch doof war immer nur wer das vorlas. So lernte man das Schweigen, damit auch das Schreiben. Für meine Pubertät gewann nonverbale Kommunikation an Bedeutung: Ich nicht. Von solch Basalem ausgehend schritt die Begriffsakkumulation stetig voran. Marotten häuften sich. Dergestalt entstand mein Protagonist. Das Ich wurde ich. Dabei blieb es leider nicht. Man hatte und hat sich schließlich dem Anderen gegenüber zu verhalten – als du, schlimmstenfalls wir. Die Erzählung gewann Struktur, konnte erstmals dramatisch werden. Szenenhaft. Folgt man dem heute Wissenschaft genannten Erzählstil, so neigt das Bewusstsein dazu, seine Erinnerungen im Nachhinein zu der sinnvollen Geschichte zusammenzufügen, die einem die Identifizierung mit dem Protagonisten möglichst erstrebenswert erscheinen lässt. Bei mir wird es nicht anders sein, dennoch glaube ich in meinem Werdegang durchaus eine Konsequenz zu entdecken. Hätte ich Dinge anders machen sollen? Vielleicht. Hätte ich Dinge anders machen können? Unwahrscheinlich. Mein Verständnis von persönlicher Freiheit war doch recht determinierend und meiner Ungebundenheit fühlte ich mich immer schon verbunden. Dazu kommen die üblichen Charakterschwächen Soviel zu meiner Person und ihrer Verortung. Damit ist wohl auch alles gesagt, was ausgedrückt werden soll. Zur Abwechslung einmal recht explizit. Denn Metaphern gelingen mir nicht mehr, da krieg ich’s Kotzen.

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Herbst

Ich weiß nicht, ob du das kennst, wenn einem erst beim Anblick des Weinregals im Supermarkt aufgeht, dass Wochenende ist. Zeit ist nicht gerade hochprozentig. Viel zu süffig für meinen Geschmack und so schnell schal. 25 Jahre noch, ein großer Abschnitt allemal, mehr als nur eine Etappe. Man sagt einiges, und denkt dabei doch nur, dass man schon bald verstummen wird und aufhören zu schreiben. Wer von denen wird noch schreiben, wird noch lesen, was nicht gelesen werden muss, aber geschrieben?
Verse tragen nicht länger zum Ausdruck, was in Kajal sich malen lässt. Tinte ist immer ungeduldiger und Zeit knapp trotz jeder Langeweile. Doch was soll mich das kümmern. Uns allen ist Schreiben doch, ist Lesen nur Masturbation. So stiehlt sie die Zeit, hilft bei Bedarf, zu lösen, bewahrt vor Schlimmerem und steigert das Selbst für den Moment. Masturbation ist unzeitgemäß, wo jeder mit jedem jederzeit vögeln kann. Wer würde der Masturbation sein Leben noch, wer eine Welt ihr denn opfern? Nur der, der nichts kann, nichts hat als Masturbation.
Man sagt, ich stünde Abseits, man sehe es den wirren Worten an. Man mahnt und malt eine düstere Zukunft. Ich diene als Anschauungsobjekt, als Redefigur (werde nicht so, wie jener). Das Außen verstummt nie. Nicht einmal für Gott.
Ich huste Schleim ab, trage die Zeit im Gesicht. Nur noch Worte werden erwartet, die man absonderlich findet. Isolation, Schwätzer in spe, die Hoffnung längst verloren. Als emotionaler Zigeuner ohne eigenen Raum, Jude der Freundschaft – Endlösung naht. Kredit verbraucht, unwerter Faulpelz. „Ersma arbeiten!“ die Schola derer, die sich ihr Leben erzwingen.
Ich habe von Allem, von Allen mich getrennt. Zunächst von der Zeit, dann von den Menschen, die nach ihr Leben; schließlich von mir selbst, meiner Priorität, die mir fast wichtiger war als die Zeit mit andern Menschen. Nun bin ich daneben. Weiß nur noch, was hätte sein können. Was nicht heißt, dass ich weiß, wie es wird sein können.
Da man Zeit seines Lebens vor dem Nichts steht, wäre es nicht besser gewesen, ihm nie entstiegen zu sein? Jeden Tag gebe ich eine andere Antwort auf diese Frage, jede Nacht stellt sie sich von neuem. Die Wahrheit ist nicht unabhängig von der Zeit und ewig schon gar nicht. Vielleicht ist das Leben bereits das Nichts, vielleicht ist es Kampf gegen dasselbe. Nicht alle Kämpfe kann man gewinnen. Muss man es denn? In jedem Fall habe ich vermehrt Probleme mit der Erzeugung von Schlaf. Oft wache ich auf, die Faust geballt, lässt sich weder öffnen, noch zum Schlagen gebrauchen. Stopp.
Trage deinen Überdruss mit Stolz; kultiviere den Verfall. Lasst meinen Ruin doch gedeihen. Eiterpickel brauchen Wachstum. Quetscht man zu früh, wird alles noch schlimmer. Mich drückt, zwickt es seit Jahren. Die Perspektiven meiner Ausbildung stehen nicht schlecht. Nach Allem habe ich gelernt, dass man nichts lernt. Noch bin ich nicht ausgelernt. Versuche mich weiter; in jeder Zeile. In etwa so:
Als ich jemanden liebte hatte ich etwas, darüber zu schreiben.
Als mich jemand liebte hatte ich etwas, darin zu leben.
Was habe ich nun?
Verbrauchte Worte, abgenutzte Bilder. Wahr ist nur eines darin: Hier ist kein Jetzt.

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Die Herrschaft der Besten

Wir leben in der besten aller möglichen Welten ganz einfach deshalb, weil eine bessere, gute Welt unmöglich ist. Dies macht einem auch die Bezeichnung akuter und potentieller sozialer Funktionsträger als „Elite“ verständlich – Elite heißt nicht gut oder gar besser, es bezeichnet eine Gruppe lediglich als das, was faktisch obenauf ist. Als Elitenförderung gilt dementsprechend dafür zu sorgen, dass diejenigen, die obenauf sind, nicht untergehen. Wie gut es um diese Elitenförderung hierzulande bestellt ist, bestätigen OECD-Armutsbericht und Pisa-Studie, denen zufolge Deutschland die Gesellschaft mit dem am schnellsten wachsenden Arm/Reich-Gefälle beherbergt, welche die geringste soziale Durchlässigkeit besitzt, wobei nirgendwo sonst schulische und berufliche Perspektiven so stark von der sozialen Herkunft abhängen. Arm bleibt Arm und, was die OECD ebenfalls nahe legt: Reich bleibt immer reicher.
Dass die Armut verhältnismäßig so stark gewachsen ist, mag am Aufschwung liegen, den wir nunmehr zu Grabe tragen. Gefühlt einzigartig war dieser Aufschwung durch seine flächenmäßigen Reallohnsenkungen bei respektablem Wirtschafts- und Produktivitätswachstum. Das war die größtmöglich angelegte Elitenförderung. Nicht unverständlich, dass der kleine Mann fortwährend über die da oben schimpft, die sich angeblich die Taschen mit unversteuertem Geld voll machen und ihn aus Sorge um den Aktienindex vor die Tür setzen. Doch handelt Otto-Normalverbraucher etwa besser, hat er eine höhere Steuerquote? Fraglich – „Drum preise nicht als Sittsamkeit, was Mangel an Gelegenheit“ könnte man also mit Wilhelm Busch sagen. Genau das ist allerdings der Punkt: Hätten alle die Möglichkeit einander gleichsam zu betrügen, wir hätten eine gerechtere Gesellschaft. Betrug aber ist ungemein leichter, hat man vertrauenswürdige Komplizen in strategisch günstiger Position. Ein Gesellschaftsmodell in welchem dies übliches Vorgehen ist, nennt sich Vetternwirtschaft. Ein System also, in welchem die Vergabe von Posten und Privilegien nicht nach möglichst objektiven Kriterien, etwa der Leistung des Bewerbers, sondern aufgrund von Beziehungen und Seilschaften erfolgt. Zusammen mit Korruption verbindet sich Vetternwirtschaft gerne zu dem in Köln charmanterweise so genannten „Klüngel“. Dieses Wort wird nicht nur dort traditionell groß geschrieben, in den Korruptionsberichten von OECD und Transparency International belegt Deutschland nach wie vor einen stabilen Platz im Mittelfeld (Wenn sie sich mittlerweile Fragen, was die OECD doch wohl für ein linker Haufen von Wirtschaftsfeinden sei, dann empfehle ich ihnen einfach die ersten paar Zeilen des entsprechenden Wikipedia Artikels).
In Deutschland entscheiden also nicht Leistung oder Fähigkeit über die in der Gesellschaft erreichbare Position. Diesem Umstand tragen auch Eliteschulen und Eliteuniversitäten Rechnung, welche ihr Klientel selbst nicht als „Leistungselite“, sondern lieber als „Verantwortungselite“ bezeichnet sehen. Verantwortungselite, da sie in dem Bewusstsein stehen, irgendwann einmal Verantwortung zu tragen. Verantwortungsbewusstsein ist das aber leider noch lange nicht. Zu der Riege von Verantwortungsträgern zählt etwa Walther Leisler Kiep, dessen Namen ein Gebäude auf der European Business School trägt. Zwar in jüngster Zeit wegen der CDU-Spendenaffäre um Waffenhändler Schreiber „etwas in die Kritik geraten“, aber ein Mensch, „von dem man persönlich viel mitnehmen könne“, wie ein Studentensprecher der EBS in einer Reportage des WDR über ihn zu sagen weiß.
Persönlich viel mitnehmen wohl auch, da er als langjähriger Präsident dieser Schule noch immer gute Beziehungen zur ihr pflegt. Damit steht er nicht allein, die EBS wirbt ganz offen mit über 3000 „Alumni“ in hohen Positionen.

„Alumnus (Plural: Alumni; lat.: „Zögling“, von alere, „ernähren“, „aufziehen“) war ursprünglich ein männlicher Zögling eines Alumnats. In Ihrer Mehrzahl sind die Alumni diejenigen, welche von einem anderen ernährt werden“ (Wikipedia.de)

Dieser Begriff hat mittlerweile einen Bedeutungswandel mitgemacht. Alumni sind heute die Ehemaligen einer Schule oder Verbindung, welche die Zöglinge dieser Schule ernähren – sei es durch Geldzuwendungen an die Institution selbst oder Stellenangebote für jene Zöglinge. „Netzwerken“ lautet der neudeutsche Euphemismus für diese Art der seilschaftlichen Vetternwirtschaft. Durch solcherlei Exklusivität kann die EBS ihren Absolventen eine Stelle in Unternehmensberatungen oder Investmentbanken, worin die meisten von ihnen unterkommen, quasi garantieren. Garantieren vor allem auch, da sich durch die Studiengebühren von rund 11.500 Euro im Jahr die Zahl der potentiellen Bewerber durchaus in Grenzen hält. Dennoch haben diesen oder ähnliche Wege nahezu alle Funktionsträger in derartigen Unternehmen durchlaufen. Somit hat man eine recht plausible Erklärung für die soziale Undurchlässigkeit unserer Gesellschaft.
Da dieses starre Sozialgefüge an der EBS so vorbildhaft ist, versucht man mittlerweile natürlich auch an anderen Universitäten elitär zu werden (mit allem was man für gewöhnlich mit dem Wort „elitär“ verbindet). Das Stichwort hier: „Exzellenzinitiative“. Es bedeutet etwas abstrahiert, dass Fördergelder durch wenige, erfolgreiche Absolventen von Hochschulen an wenige, erfolgreiche Professoren an Hochschulen verteilt werden, die dadurch abermals wenige, in ihren Augen erfolgreiche Studenten fördern, ihr Studium erfolgreich zu absolvieren. Ein Schelm wer Intransparentes dabei denkt. Nur konsequent ist es dagegen, die Fördergelder auch durch Studiengebühren zu refinanzieren, die zum größten Teile nur Abiturienten aus weniger gut situiertem Elternhaus vom Studium abschrecken. Frau Schavan ficht das nicht an, schließlich würden 90% der jetzt Studierenden angeben, Studiengebühren seien für sie nicht der entscheidende Grund gewesen, kein Studium aufzunehmen. Lesen sie das ruhig noch mal durch, es ist kein Argument für Logiker.
Was traut man sich da abschließend überhaupt noch zu fragen? Die Antwort auf das cui bono liegt auf der Hand. Erwiesenermaßen sichert eine nahezu unmögliche „soziale Mobilität“, wie man sozialen Auf- und Abstieg zusammenfassend nennt, die Stellung derjenigen, die sowieso schon oben sind. Entscheidungsträger, die nachhaltige Verantwortung für ihre Kinder tragen, werden deshalb kaum zur Änderung des status quo beitragen wollen. Bundespräsident Horst Köhler wies auf dem 47. Historikertag noch auf die Notwendigkeit einer gewissen Ungleichheit hin
und warnte vor den ewig gestrigen Gleichmachern. Dem Verdacht der Gleichmacherei muss sich die momentane Bundesregierung so wie die gesamte „Verantwortungselite“ unseres Landes in keinem Fall ausgesetzt sehen. Gleich bleibt höchstens die Zahl der Alumni.

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Glotze

Ist das überhaupt der Rede wert? Was lässt an Ranickis Kritik eigentlich aufhorchen? Nicht etwa, dass er das Fernsehen als schlecht, seine Macher als fantasielose Idioten und die Fernsehkritik als bloße Durchgangsphase für Feuilletonisten bezeichnet. Daran ist nichts neues, das sind längst akzeptierte Allgemeinplätze. Längst verdrängt und vergessen ist allerdings der Anspruch, dass Fernsehen etwas anderes sein könnte, als schlecht – auch im Abendprogramm der großen Sender. Deren Verantwortliche sind offenkundig der Meinung, dass Unterhaltung nur aus Voyeurismus und seichtesten Witzen über Fäkalien & Fortpflanzung bestehen könne.
Shakespeare war ein Unterhalter, hat für die Massen geschrieben und gilt trotzdem als größter Dramatiker der westlichen Kultur. Hält man ihn also für schwere Kost, die für das große Publikum von heute nicht mehr taugt, muss man sich doch nach den Gründen dafür fragen. Der heutige ZDF-Zuschauer muss nach Gottschalks Meinung entweder unkultivierter oder schlichtweg dümmer sein als der Pöbel des 16. Jh. – der brach in Begeisterung aus, gab man ihm „Was ihr wollt“. Sind wir heute dümmer? Anthropologen würden das bestreiten. Sind wir unkultivierter? Hatte Rousseau Recht und die Geschichte der Zivilisation ist eine Geschichte der entfremdenden Degeneration? Betrachtet man den erfolgreichen Humor, scheint er diese Theorie zu stützen. Hier ist Spaß fast immer ein Tabubruch. Shakespeare konnte da noch bei recht banalen Tabus ansetzen. Nur konsequent, dass diese Demontage das Niveau im Laufe der Zeit immer schneller, immer weiter herabsenkt, weshalb man mittlerweile bei den basalsten Geboten angelangt ist, sich  buchstäblich im Dreck suhlt und dabei Tiergenitalien verspeist. Über so etwas lacht man und über Menschen, die bereit sind sich für das Fernsehen selbst zu verstümmeln.
Teilt man aber diese pessimistische Kulturphilosophie, muss man an der Berechtigung von Unterhaltung überhaupt zweifeln. Wieso Kurzweil unterstützen, wenn die Gesellschaft dabei immer weiter verroht? Lässt sich das nachfeierabendliche Glück der werktätigen Massen tatsächlich nur durch den Ausverkauf menschlicher Kultur und ihrer Werte erreichen?
Die Verantwortlichen sind davon offenkundig überzeugt. Auf den Vorwurf der Niveaulosigkeit reagieren sie allesamt mit dem Fingerzeig auf andere, die angeblich noch tiefer im Dreck wühlen. So erscheinen als Bewahrer der Kultur schon diejenigen, die sparsamer sind mit ihrer Unterminierung. Niveauvolle Unterhaltung, so das gebetsmühlenartige Credo, sei dagegen eine unvorstellbare und undurchführbare Phantasterei. Letzteres ist zuzugeben: Phantasie bedarf es, Unterhaltung nicht allein durch Tabubrüche zu erreichen. Ob das allerdings undurchführbar bleibt, ist fraglich. Die Attraktivität niveauvoller Unterhaltung würde schon dadurch gesichert, dass sie im Fernsehprogramm unserer Tage ein Kuriosum wäre, eine absolute Seltenheit. Und kuriose Seltenheiten haben noch immer die Massen angezogen.

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